Januar-Frühling am Ätna und in Italien

Wieder einmal klingelt der Wecker zu früh, um noch im Hotel zu frühstücken. Das werde ich im Zug nachholen müssen. Ich checke aus, laufe runter zur U-Bahn und fahre wieder zum Bahnhof Torino Porta Susa. Etwa 20 Minuten vor Abfahrt meines TGV nach Paris bin ich vor Ort. Er wird bereits angezeigt mit dem Logo der französischen Bahn SNCF.

Wer von Mailand bzw. Turin nach Paris fahren möchte, hat seit wenigen Jahren die Auswahl, ob er mit der SNCF und somit mit dem TGV oder mit der trenitalia und somit dem Frecciarossa fährt. Nachdem früher immer nur der TGV gefahren war – ich nehme an in Kooperation der beiden Bahngesellschaften –, gibt es nun eine Konkurrenz. Wenn das zu einem dichteren Fahrplan geführt hätte, wäre das ja noch zu begrüßen, faktisch fahren aber jeden Tag drei TGV und zwei Frecciarossa, wobei letztere beinahe in parallelen Zeitlagen verkehren.

So fährt beispielsweise der erste TGV des Tages um 6.00 Uhr in Mailand ab, der TGV kann aber in Italien nicht die Schnellfahrstrecke nutzen und muss daher die Altstrecke befahren. 25 Minuten später startet der Frecciarossa in Mailand, nutzt die Hochgeschwindigkeitsstrecke und überholt den TGV so. In Turin fährt damit der Frecciarossa eine knappe halbe Stunde vor dem TGV ab, bedient dann aber in Frankreich den Bahnhof Lyon-Part-Dieu, während der TGV Lyon über Schnellfahrstrecken komplett umfährt und damit den Frecciarossa überholt. Am Ende kommt der TGV sechs Minuten vor dem Frecciarossa in Paris an. Was das soll und warum danach stundenlang wieder kein Zug fährt, weiß ich nicht. Ein sauberer Zweistundentakt oder ähnliches wäre sicher attraktiver, und mein Gefühl an diesem Januarmorgen mitten in der Woche ist nicht, dass sich mehr Verbindungen nicht lohnen würden. Als ich gerade am Bahnsteig ankomme, fährt nämlich der Frecciarossa ab und scheint gut ausgelastet zu sein. Für meinen TGV wird gleich ähnliches gelten.

Ich habe mich aus mehreren Gründen für den TGV entschieden. Erstens bin ich den Frecciarossa schon häufiger gefahren und auch kein großer Fan des neueren Zuges, der hier zum Einsatz kommt (Fensteraufteilung und Sitze passen teils nicht zusammen, Scheiben an den Endwagen mit Werbung verklebt), und zweitens kommt hier ein einstöckiger TGV zum Einsatz, den ich noch nicht kenne. Nach Deutschland kommen nur noch doppelstöckige TGV.

Pünktlich kommt der Zug an dem abermals vollen Bahnsteig eingerollt. In Mailand sind offenbar noch nicht allzu viele Fahrgäste eingestiegen, aber hier füllt es sich ordentlich. Ich habe einen Platz in der 1. Klasse gebucht, einen Einzelplatz, an dem ich auch ordentlichen Blick nach draußen habe und nicht gegen einen Fensterholm schaue. Erstmal ist es fast etwas kompliziert, meinen Platz zu finden. Die Nummern sind nicht an der Wand, sondern von oben auf dem Sitz neben der Kopflehne angebracht. Man muss dafür etwas den Kopf verrenken. Zusätzlich verwirrt, dass jeweils zwei Nummern angegeben sind und jeweils eine von unten angeleuchtet ist. Ich schließe daraus, dass der Wagen genau symmetrisch gebaut ist, und man, je nachdem, welche der Platznummern man eingeblendet hat, dafür sorgen kann, dass auch diejenigen in Fahrrichtung fahren können, denen man das bei der Buchung versprochen hat, egal, wie herum der Zug gereiht ist. Ob diese Theorie stimmt, weiß ich nicht.

Die Fahrt beginnt und es geht in Richtung der Berge. Diese Strecke ist historisch bedeutend. Sie stellt den allerersten Alpendurchstich mit dem Mont-Cenis-Tunnel da, der 1871 eröffnet wurde. Es ist die letzte Alpenüber- bzw. -durchquerende Hauptstrecke, die ich noch nicht gefahren bin. Nicht zuletzt, weil die Relation für jemanden, der in NRW wohnt, selten verkehrstechnisch Sinn macht, aber eben auch wegen des dürftigen Zugangebots. Ich freue mich, dass es heute einmal funktioniert.

Draußen beginnt die Dämmerung. Am Horizont färbt sich der Himmel orange über den Gipfeln der Berge. Eine schöne Stimmung, die ich gerne fotografieren würde. Das gelingt aber kaum, denn der TGV ist so konstruiert, dass die Beleuchtung sich direkt über dem Fenster befindet. Es gibt beim Fotografieren also Spiegelungen ohne Ende.

Nach wenigen Minuten kommt ein Herr mit einer Minibar vorbeigefahren und bietet Getränke an. Auch hier scheint in der 1. Klasse ein Getränk inklusive zu sein. Ich wähle einen Tee.

Der breite Sitz, auf dem ich Platz genommen habe, ist sehr bequem, aber der Sitzabstand ist auch hier extrem gering, erst recht, wenn man bedenkt, dass das hier die 1. Klasse ist. Ansonsten fühle ich mich hier im TGV recht wohl. Man merkt, dass das Fahrzeug und das Design der Inneneinrichtung schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben, aber es wirkt alles wohnlicher als im Frecciarossa gestern. Trotzdem komme ich auch heute zu dem Ergebnis, dass sich auch im Vergleich zum TGV der ICE wirklich nicht verstecken muss.

Die Berge kommen immer näher, die Gipfel sind schneebedeckt, teilweise hängen noch ein paar Wolken an ihnen, sonst ist der Himmel klar. Bis Bussoleno verläuft die Strecke dabei im Talboden, dann verschwindet sie am rechten Berghang in mehreren langen Tunneln, aus denen wir immer nur kurzzeitig hervorkommen, bevor wir in den nächsten fahren. Die Aussicht ist dabei stets sehr schön, aber weiterhin schwierig zu fotografieren.

Beim Blick auf die Karte stelle ich fest, dass ich im Grunde genommen in die falsche Richtung unterwegs bin. In Italien herrscht auf den Gleisen Linksverkehr und das linke Gleis verschwindet auf viel längeren Abschnitten in Tunneln als das rechte. Bei der Fahrt in die Gegenrichtung hat man also vermutlich noch länger viel schönere Ausblicke.

Die Orte hier – Susa, Oulx, Sestriere, Bardonecchia – kenne ich alle vom Hören, seit ich 2006 die olympischen Winterspiele im Fernsehen verfolgt habe, die genau in diesen Orten stattfanden. Am Bahnhof „Oulx-Cesana-Claviere-Sestriere“ hält mein TGV sogar, um hier offenbar die Wintersportgebiete anzubinden. Draußen auf dem Bahnsteig liegt mittlerweile Schnee und eine ältere Dame, die einsteigt, bringt unter ihren Schuhen etwas Schnee in den Zug, weil sie verzweifelt durch den Wagen irrt, um ihren Sitzplatz zu finden. Ich erwähnte ja bereits, dass die Nummern an blöder Stelle angebracht sind.

Noch ein paar Kilometer Fahrt, dann rollen wir durch Bardonecchia und anschließend in den etwa 13,6 km langen Mont-Cenis-Tunnel. Die Fahrt durch einen Tunnel ist eigentlich nichts Besonderes mehr, aber dank mehrerer Dokumentationen bin ich mir der Bedeutung dieses Bauwerks bewusst und freue mich, auch einmal hier durchfahren zu können.

Im französischen Modane erblicken wir wieder das Tageslicht. Auch hier liegt bis ins Tal Schnee. Kein Wunder, denn Modane liegt mehr als 1.000 Meter über dem Meer. In einem Bogen führt die Strecke vom Tunnelportal in den Ort hinab. Dabei kann ich aus dem Fenster bis zur vor der Bahnhofseinfach italienische Signale erkennen. Offenbar betreiben die Italiener die Strecke bis hierher.

Der Zug rollt an den Bahnsteig und hat eine Standzeit von etwa einer Viertelstunde. Diese dient mindestens einmal der Grenzkontrolle. Auch hier wird leider Schengen mit Füßen getreten. Und natürlich, auch das kennt man schon, interessieren sich die einsteigenden Polizisten nur für Menschen, die nicht weiß und europäisch aussehen. An mir gehen sie uninteressiert vorbei.

Ich nutze dann die restliche Standzeit dafür, einmal den Kopf in die frische Luft zu strecken und mir ein paar Schneeflocken ins Haar fallen zu lassen. Irgendwann geht es dann weiter, noch einige Kilometer durch eine schön verschneite Landschaft, dann hört der Winter aber relativ schnell wieder auf, nachdem der Zug immer weiter bergab gefahren ist. Zunächst kann man aber immerhin noch die weißen Gipfel im Sonnenlicht sehen.

Der Zug hält hier, mitten in den Alpen, noch in St-Jean-de-Maurienne Arvan, wo in meinem Wagen dann auch so langsam die letzten Plätze belegt werden, dann geht es weiter mit gemächlicher Geschwindigkeit bis nach Chambéry. Hier gibt es einen längeren Halt – und auch der Strom ist weg. Der Grund wird sich mir erst später in Paris erschließen: Wir sind hier auf eine andere TGV-Einheit aufgefahren und fahren nun in Doppeltraktion. Die Landschaft draußen wird zunehmend langweiliger, immerhin scheint (noch) die Sonne.

Irgendwann, kurz vor Lyon, fahren wir dann auf die Schnellfahrstrecke, über die man Lyon umfährt. Der Zug gibt Gas und rast nun mit 300 km/h Paris entgegen. Es gibt noch einen Halt auf einem Bahnhof der Schnellfahrstrecke, Mâcon-Loché TGV, die letzten anderthalb Stunden fahren wir dann nonstop.

Natürlich muss ich auch hier im Speisewagen einmal vorbeischauen. Im TGV ist das auch kein vollwertiger „Speisewagen“, sondern eine Bar mit Stehbereich. Hinter dem Tresen steht der Mann, der mir heute früh am Platz den Tee serviert hatte. Möglicherweise ist dies nur bei den grenzüberschreitenden Fahrten inklusive, denn seitdem wir in Frankreich sind, kam er nicht mehr vorbei. Er sprach vorhin sehr gutes Englisch, überzeugendes Italienisch (ich kann es natürlich nicht wirklich beurteilen, weil ich die Sprache nicht spreche) und nun quatscht er mit den Menschen hinter dem Tresen auf Französisch. Ich nehme an, er ist Franzose, aber ich weiß es nicht.

Es scheint sich bei den Barbetreiber auf dieser Relation um einen anderen Caterer zu handeln als in den normalen TGV. Das Angebot ist anders, es gibt ein anderes Logo, in das die Relation „Paris – Torino – Milano“ eingearbeitet ist.

Insgesamt würde ich das Angebot als leicht besser als im Frecciarossa beschreiben. Vor allem gibt es eine verständliche Speisekarte. Aber auch hier, in einem Land, das für gutes Essen bekannt ist, wirkt die Leistung der Bordgastronomie traurig im Vergleich zu den östlichen Nachbarländern. Ich kaufe mir nur eine Cola und gehe zurück zum Platz.

Wir rasen durch die Landschaft, die nach alldem, was ich in den letzten Tagen gesehen habe, wirklich nicht mehr spannend ist. Zunehmend verschlechtert sich auch das Wetter.  Irgendwann rollen wir dann in Paris bei grauem Himmel und Regen ein. Dazu ist es unangenehm kühl. Aber ich darf nicht meckern, heute ist der 10. Januar.

Ich bin am Bahnhof Gare de Lyon und habe mir zweieinhalb Stunden Umsteigezeit eingeplant, bis es vom Bahnhof Gare du Nord weitergehen soll. Diese Zeit dient als Puffer bei Verspätungen und Zeit für den Bahnhofswechsel – und im besten Fall kann ich noch eine Kurzvisite in der Stadt machen – das war mein Plan.

Ich trete vor das Bahnhofsgebäude vom Gare de Lyon mit seiner beeindruckenden Turmuhr und überquere zu Fuß die Seine. Direkt am anderen Ufer liegt ein anderer Pariser Bahnhof: Der Gare d’Austerlitz. Hier war ich 2007 mit meiner Schulklasse mit dem Zug aus Orléans angekommen. Wir waren auf Schüleraustausch in der Partnerstadt von Münster und fuhren einen Tag nach Paris. Heute ist der Gare d’Austerlitz eine einzige Baustelle, und der Weg über die Brücke hat mir den Rest gegeben. Mir ist kalt, es ist ungemütlich, ich sage die Stadtbesichtigung innerlich ab. Immerhin war ich vor wenigen Monaten zuletzt in Paris, da ist das nicht so schlimm.

Ich steige in die Metro, die die Seine anschließend wieder überquert, kann in der Ferne immerhin noch Notre Dame erahnen, und fahre bis zum Gare de l’Est. Ostbahnhof und Nordbahnhof liegen sehr nah beieinander und da ich noch Zeit totzuschlagen habe, schaue ich mich hier mal wieder etwas um. Von hier fahren die ICE und TGV-Züge in Richtung Frankfurt und Stuttgart. Ein ICE steht auch am Bahnsteig bereit, wird aber erst in ein paar Stunden fahren. Ansonsten ist es recht ruhig hier. Der Bahnhof wirkt sogar leicht überdimensioniert, wenn man sich die vergleichsweise wenigen Abfahrten anschaut. Kein Vergleich zum Gewusel am Gare de Lyon.

Dann gehe ich die paar Meter durch den Regen zum Gare du Nord. Hier ist schon deutlich mehr los, aber auch hier gibt es, verglichen mit deutschen Bahnhöfen, wenig Verkehr. So etwas wie einen vernünftigen Taktverkehr gibt es in Frankreich leider nicht. Woran das liegt, weiß ich nicht. Kaum vorstellbar, dass auf den Strecken und in den Bahnhöfen nicht noch Trassen frei wären.

Stattdessen sind Züge gerne einmal ausgebucht oder man bekommt Restplätze nur noch zu extrem teuren Preisen. Beim thalys ist es nicht besser. Zwischen Köln und Paris gibt es gerade einmal fünf Verbindungen am Tag. Bei einem echten Zweistunden- oder besser noch Stundentakt würde man die Züge wohl auch vollbekommen.

Ich schaue mich um. Auf den abgetrennten Bahnsteigen steht ein Eurostar nach London bereit. Ich bin noch nicht mitgefahren, möchte das aber irgendwann gerne einmal. Auch wenn mich Sicherheits- und vorgezogene Grenzkontrollen abschrecken. Das ist dann einfach nicht mehr Eisenbahn mit all ihren Vorteilen. Schade, dass man die guten Dinge am Eisenbahnsystem hier so mit Füßen tritt.

(fotografiert durch das dicke Sicherheitsglas)

Irgendwann wird dann das Gleis des Thalys bekanntgegeben. Eine Kontrolle des Tickets findet schon am Bahnsteigzugang statt. Der Zug besteht aus zwei Zugteilen. Der hintere Zugteil endet in Brüssel, nur der vordere fährt weiter nach Deutschland. Bis zu meinem Wagen muss ich also eine relativ lange Strecke auf dem Bahnsteig zurücklegen. An der Einstiegstür zu meinem 1. Klasse-Wagen begrüßt mich ein Mitarbeiter freundlich.

Ich habe leider nur noch einen Gangplatz erhalten. Offenbar waren alle Fensterplätze bereits ausgebucht. Es kommt noch „besser“: Ich fahre entgegen der Fahrtrichtung und ein Fensterholm ist auch noch im Weg. Und der Sitzabstand ist wieder einmal extrem eng. Für eine 1. Klasse ist das fast schon peinlich, finde ich. Ansonsten ähnelt das Ambiente dem des TGV, lediglich ist die Inneneinrichtung in thalys-rot gehalten. Rein technisch handelt es sich bei den thalys-Zügen auch um TGVs.

Immer weiter füllt sich der Wagen. Die Sprachen vermischen sich: Französisch, Deutsch, Flämisch (?). So geht internationaler Verkehr. Ich warte darauf, dass die Person kommt, die den Platz neben mir reserviert hat. Irgendwann fahren wir dann ab und nachdem auch dann niemand da ist, setze ich mich auf den Fensterplatz und habe nun einen kompletten Zweiersitz für mich allein. Immerhin das.

Eine Fahrkartenkontrolle findet nicht mehr statt, offenbar verlässt man sich darauf, dass nach der Kontrolle am Bahnsteig sich alle auch auf ihren Platz setzen und niemand mit 2.-Klasse-Ticket in der 1. Klasse sitzt.

Der Zug rast auf der LGV Nord in Richtung Brüssel. Die graue Landschaft, die ich beidseitig des Fensterholms erahnen kann, lockt nicht gerade mit dem Blick nach draußen. Spannender ist da der Blick auf die Karte, auf der man sieht, wie weit Paris und Brüssel auseinanderliegen, obwohl der Zug dafür nur eine Stunde und 20 Minuten braucht.

Kurz vor Brüssel ist dann auch mehr oder weniger das letzte Tageslicht verschwunden und beim Halt in der belgischen Hauptstadt leert sich der Wagen deutlich. Ein paar wenige einsteigende Fahrgäste gibt es, der Platz neben mir bleibt aber weiter frei.

Beim Halt in Lüttich schaue ich noch einmal kurz nach draußen auf die beeindruckende Konstruktion, die hier die Bahnhofshalle darstellt, dann dauert es auch nicht mehr lange und wir erreichen Aachen und damit Deutschland. Wir haben zwischenzeitlich wegen irgendwelcher technischen Probleme an der Strecke in Belgien etwas Verspätung aufgebaut. Am Ende sind es aber nur 10 Minuten, als ich in Köln den Zug verlasse.

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