Vom Vindobona bis nach Salzburg

Vindobona – das ist nicht nur der lateinische Name der Stadt Wien, sondern – daran angelehnt, der Name eines über Jahrzehnten verkehrenden Zuges zwischen Berlin und Wien über Prag. An beiden Enden wurde dieser Zuglauf zeitweise noch weiter verlängert. Das erste Mal mit dem „Vindobona“ in Kontakt kam ich im Sommer 2014. Mit meinem besten Freund war ich mit dem Deutschland-Pass unterwegs und auf dem Weg von Dresden nach Berlin. Zufällig erwischten wir damals diesen Zug, der für ein paar Fahrplanjahre den doch beeindruckenden Laufweg Villach – Hamburg hatte und aus ÖBB-Wagen bestand. Über die Historie des Zuges las ich es später. Da war es jedoch zu spät, ihn noch auf dem kompletten Laufweg zu fahren. Ende 2014 wurde der Vindobona nach mehreren Jahrzehnten eingestellt, die Direktverbindung (im Tagesverkehr) zwischen Berlin und Wien entfiel. Damit hätte die Geschichte des Vindobona enden können, doch es kam anders. Mitte 2020, mitten in der Corona-Pandemie, kam der Zug zurück: Als einer der zweistündlichen railjets auf der Relation Prag – Graz von und nach Berlin verlängert wurde. Damit war die Direktverbindung wieder da, mit einem nochmals neuen Endbahnhof – Graz. Zum Einsatz kommt normalerweise ein railjet-Fahrzeug der tschechischen Bahn. Für mich war klar: Jetzt musst du diesen Zug auch endlich mal fahren! Doch die stundenlange Fahrzeit, die während der Pandemie mit stundenlangem Maske-Tragen am Stück verbunden war, hatte mich zunächst abgeschreckt. Als im Laufe des Jahres 2022 die Masken in Tschechien und Österreich gefallen waren, hatte mich die Fahrt aber wieder angelacht. Erst recht, als ich erfahren habe, dass der Vindobona Ende 2022 schon wieder eingestellt werden soll – wegen Bauarbeiten im deutschen Elbtal. So bleibt zu hoffen, dass er danach noch einmal zurückkommt. Es war aber sprichwörtlich letzte Eisenbahn, als ich mich Ende November auf dem Weg nach Berlin machte.

Mit dem Vindobona fahre ich von Berlin über Dresden, Prag und Wien bis Bruck an der Mur. Von dort aus geht es mit der S-Bahn nach Leoben. Ein Intercity bringt mich schließlich nach Salzburg, wo der Tag auf den Schienen endet.

Halb sechs Uhr morgens in Berlin. Die Stadt hatte mich gestern Abend mit einem Wintereinbruch und Schnee begrüßt. Ich mag Schnee, aber doch war die Witterung gestern Abend so unangenehm kühl und windig, dass es mich sofort ins Hotel gezogen hat und ich diesmal Berlin wirklich nur zur Übernachtung nutze und auf jedes Sightseeing verzichte. Auch während ich so früh am Morgen, natürlich ohne Frühstück, das Hotel verlasse, ist es auf der Straße unangenehm kalt. Mein Hotel steht in Nachbarschaft zum Anhalter Bahnhof, der heute nur noch ein Tiefbahnhof der S-Bahn ist. Hier unten ist es beinahe warm. Nur eine Station ist es bis zum Potsdamer Platz. Bei etwas angenehmeren Wetter wäre ich diese Strecke selbstverständlich zu Fuß gegangen, aber heute vermeide ich jede Minute in der Kälte. Am Potsdamer Platz wechsele ich von der S-Bahn in den Regionalbahnhof. Anders als in der S-Bahn-Station, pfeift hier ein kalter Wind und die Minuten, bis der Regionalexpress zum Hauptbahnhof kommt, vergehen wie Stunden. Fünf Minuten Verspätung machen es nicht besser, gefährden aber den Anschluss am Hauptbahnhof Gott sei Dank nicht.

Dort angekommen, hole ich mir beim Bäcker noch etwas zu Essen. Zur Sicherheit, die Fahrt ist lang und eine gewisse Skepsis ist bei der Funktion eines Speisewagens immer angebracht, auch wenn die (essens)technische Verfügbarkeit meiner Erfahrung nach bei den Tschechen deutlich über der der Speisewagen der Deutschen Bahn liegt. Da müsste ich mit einer gefühlten Wahrscheinlichkeit von etwa 50 Prozent davon ausgehen, dass der Speisewagen mich nicht durch den Tag bringt.

Als ich wieder zurück ins Tiefgeschoss des Bahnhofs gehe, steht der railjet mit der Zugnummer 259 bereits am Gleis 1. Bis zur Abfahrt sind es noch etwa 10 Minuten, sodass ich den Zug entlangschreiten kann. Vorne hängt – farblich unpassend – eine rote ÖBB-Lok der Baureihe 1216. Weil die tschechische Bahn für ihre railjet-Garnituren keine eigenen Loks hat, hat sie welche der ÖBB angemietet. Davon gibt es auch ein paar im blauen Design der tschechischen Bahn, die farblich zu den entsprechenden railjet-Garnituren passen. Immer wieder scheint den Disponenten diese Zuordnung aber egal zu sein, sodass auch die blauen Loks gerne mal vor den roten ÖBB-railjet-Garnituren oder anderen Zügen zum Einsatz kommen und die roten Loks (ob im railjet- oder im normal roten ÖBB-Design) vor den blauen Zügen.

Ich muss bis ganz zum Ende des Zuges, zum Steuerwagen, laufen, denn dort befindet sich die Business Class. Darunter zu verstehen sind ein paar extra bequeme Sitze mit einem extra großen Sitzabstand, die man sich für zusätzliche 15 Euro pro Fahrt reservieren kann, wenn man eine Fahrkarte der 1. Klasse hat. Dies gilt aber nur für Tschechien und Österreich – dort ist dafür auch ein Freigetränk inbegriffen. In Deutschland dagegen gibt es die Business Class tariflich nicht und man kann die Sitze auch mit normaler 1.Klasse-Fahrkarte besetzen.

(vorne die Sitze der Business-Class, dahinter die normale 2+1 Bestuhlung der 1. Klasse)

Mein Einzelplatz

Der Zug setzt sich pünktlich in Bewegung. Der freundliche Zugchef der DB kontrolliert meine Fahrkarte, meine Reservierung will er aus den oben genannten Gründen nicht sehen. In meinem Wagen sitzen nur wenige Fahrgäste. Alle von ihnen sitzen auf den normalen 1.Klasse-Sitzen, die sie größtenteils wahrscheinlich automatisch mit einer Fahrkarte der DB reserviert haben.

Kurz nach der Abfahrt in Berlin kommt der freundliche und aufmerksame Kellner aus dem Speisewagen vorbei. Deutsch spricht er nicht, was nicht schlimm ist. Bisher hatte ich das aber üblicherweise so erlebt, dass das Personal, das nach Deutschland fährt, auch Deutsch spricht. Ich bestelle also auf Englisch einen Tee an meinen Platz. Mit einem richtigen Frühstück warte ich noch, bis wir in Tschechien sind.

Nach etwa einer Stunde Fahrt beginnt es draußen langsam zu dämmern und mein Blick fällt auf eine leicht verschneite Landschaft. Die Fahrt zwischen Berlin und Dresden ist landschaftlich eigentlich nicht wirklich aufregend.

Erster Zwischenhalt nach Berlin ist Doberlug-Kirchhain, wo sich zwei Bahnstrecken kreuzen.

Zur Einführung dieser neuen Vindobona-Verbindung haben ein paar Eisenbahnfreunde hier ein Plakat in eine Kamera gehalten auf dem „Doberlug-Kirchain grüßt Mürzzuschlag“ stand. Auch für solche ungewöhnlichen Direktverbindungen sorgt dieser Zug.

Irgendwann erreicht der Zug dann pünktlich Dresden. Nach dem Halt in Dresden Neustadt fahren wir über die Elbe mit einem wunderbaren Ausblick auf die Altstadt.

Im Dresdener Hauptbahnhof steigen einige Fahrgäste aus, wenige auch ein. Es ist immer noch recht früh, und das an einem Sonntag. Da sind die Züge in aller Regel leer.

Nun beginnt einer der schönsten Abschnitte der Strecke: Es geht im Elbtal in die sächsische Schweiz. Eine leichte Dunstschicht liegt über dem Fluss und lässt es so aussehen, als wäre die Elbe heiß und würde dampfen.

vorbei an der Basteibrücke

Der nächste Halt ist der deutsche Grenzbahnhof Bad Schandau.

Heute gibt es hier nicht nur die Staatsgrenze, sondern auch eine Wettergrenze, denn der Himmel zeigt sich zunehmend bewölkt. Beim ersten Halt in Tschechien, Decin, ist von der Sonne nichts mehr zu sehen. Das deutsche Zugpersonal steigt hier aus, hatte den Halt vorher noch auf Deutsch und Englisch angesagt, und eine tschechische Zugbegleiterin kommt an Bord.

Der Zug steht zudem hier ein paar Minuten planmäßig und bei vielen Fahrgästen, darunter mir, fallen die Masken und die Fahrt wird angenehmer.

Nach der Abfahrt kommt die neue Zugbegleiterin schnell zur Fahrkartenkontrolle vorbei. Sie möchte, das war klar, auch meine Reservierung für die Business Class scannen. Im Gegenzug stellt sie mir das folgende Papierstück aus:

In dessen Besitz bleibe ich aber nur kurz, wenig später sammelt es der Kellner aus dem Speiswagen ein, damit er von meiner Rechnung direkt ein Getränk als Freigetränk abziehen kann. Im Gegenzug dazu bestelle ich nun ein Frühstück. Ich habe bis hierher gewartet, denn innerhalb Tschechiens gilt „Happy Hour“, das heißt die Preise der Speisen und Getränke im Speisewagen sind deutlich vergünstigt, meist liegen sie etwa bei der Hälfte der Preise im Ausland.

Der Sitz in der Business Class ist sehr bequem und ich mag die Beinfreiheit um mich herum, aber der aus der Armlehne herausklappbare Tisch ist für ein solches „Menü“ schon fast etwas knapp bemessen. Und es gibt ein noch viel größeres Problem: Faktisch habe ich mich mit dem Tisch und dem Essen „eingebaut“ und kann, bevor der Kellner das Geschirr nicht abgeräumt hat, nicht aufstehen. Praktischer wäre es, wenn der Tisch zur Seite wegschwenkbar wäre.

In einem Großteil der railjets der ÖBB ist der Bereich der Business Class großzügiger bemessen und die Sitze sind in mehreren (Fast-)Abteilen eingebaut. Dort gibt es zwischen den Sitzen zudem eine kleine Abstellmöglichkeit, auf der man das Geschirr auch gestapelt abstellen kann, um sich zu „befreien“. Siehe das folgende „Archivbild“. Das fehlt hier.

Zum Vergleich: Business Class in einem Großteil der ÖBB-railjets

Gott sein Dank kommt der Kellner schnell und räumt das Geschirr wieder ab. Die Fahrt führt, mit einem Zwischenhalt in Usti nad Labem, zunächst weiter entlang der Elbe (tschechisch: Labe), später dann entlang der Moldau. Die nun trübe Hochnebelwetterlage macht die Ausblicke aber nicht gerade aufregend. Auf meinen Kopfhörer laufen Weihnachtslieder – das macht die Stimmung dann aber doch sehr schön und passend.

Irgendwann kommt der Kellner dann nochmal und sagt, dass er gleich in Prag aussteigt und deshalb bittet, dass ich zahle. Wegen der Happy Hour und abzüglich des Freigetränks ist der Betrag, den ich zahlen muss, beinahe lächerlich. Ich gebe ein großzügiges Trinkgeld.

In Prag hält der Zug nur am Bahnhof Holesovice und nicht am Hauptbahnhof. Letzteres wäre mit einem Richtungswechsel, oder alternativ mit einer ordentlichen „Stadtrundfahrt“ verbunden. Das würde zu lange dauern und der Zug würde seine Trasse südlich von Prag verpassen. Ein paar Minuten Aufenthalt gibt es aber in Holesovice. Mein Wagen der 1. Klasse füllt sich bis fast auf den letzten Platz. Jetzt ist es schon fast unangenehm voll. Gut, dass ich hier in dem Bereich der Business Class sitze, wo die Sitze sehr weit auseinander stehen. Ich gehe noch kurz frische Luft schnappen auf dem Bahnsteig.

Während die normale 1. Klasse wirklich bis fast auf den letzten Platz gefüllt (und auch reserviert) ist, hat sich in der Business Class erst nur ein weiterer Reisende niedergelassen, der laut Reservierungsanzeigen auch Aufpreis/Reservierung gelöst hat. Die anderen Plätze bleiben frei, bis sie eine wahrscheinlich asiatische Familie entdeckt, denen es in der „normalen“ 1. Klasse zu voll war. Ich ahne das kleine Drama, das folgt, schon.

Die Zugbegleiterin kommt und kontrolliert Fahrkarten und Reservierungen für die Business Class. Der ältere Mann kann sie vorweisen, mich kennt sie schon von vorher, dann kommt aber die Familie dran. Sie versucht nach Kontrolle der Fahrkarten der Familie klarzumachen, dass ihre reservierten Plätze im anderen Teil des Wagens sind, in der normalen 1. Klasse. Die Verständigung auf Englisch scheint mühsam zu sein. Irgendwann begreifen sie dann, dass, wenn sie hier sitzen bleiben wollen, sie Aufpreis zahlen müssen. Das scheitert dann zunächst auch noch am Geld in der richtigen Währung (US-Dollar nimmt die Zugbegleiterin nicht an, Schweizer Franken auch nicht), irgendwann ist das Problem dann gelöst.

Natürlich haben sie damit das Recht hier zu sitzen, ich hätte es natürlich lieber gehabt, hier hinten es weiterhin ruhiger zu haben. So ehrlich bin ich, auch wenn das vielleicht etwas egoistisch ist. Vor allem, weil die Mitglieder der Familie sich die ganze Zeit laut unterhalten, sehr stark parfümiert sind und die Tochter der Familie auch noch ständig hustet. Bei ersterem und letzterem helfen immerhin bedingt meine Ohrstöpsel und die Weihnachtsmusik, die ich nun laut aufdrehe.

Von Prag aus geht es rund drei Stunden lang weiter ohne Halt bis Brünn. Dabei handelt es sich um eine längerfristige Umleitung, die über Monate gefahren wird, wegen Bauarbeiten auf der Hauptstrecke Pardubice und Ceska Trebova. Es geht nun also stattdessen über Nebenstrecken gen Süden.

Die Landschaft ist erst noch weiß, später wieder grün, der Himmel aber noch grau. Die Fahrt ist nett und irgendwie entspannend. Die Zeit verschwimmt. Aber großes Landschaft-Genießen ist bei dem Wetter nicht angesagt.

Während der Fahrt über die Umleitungsstrecke bleiben wir zweimal länger (um die 10 Minuten stehen). Jeweils erfolgt direkt nach Stillstand eine Durchsage der Zugbegleiterin auf Tschechisch und Englisch, dass wir aufgrund von Bauarbeiten stehen. Vorbildich. Nach Kreuzung mit einem Gegenzug geht es jeweils weiter. Die App der tschechischen Bahn hatte vor diesen Verspätungen im Vorhinein schon gewarnt. Es sind dann irgendwann 20 Minuten. Ich habe noch Hoffnung, dass der Zug das wieder aufholt, das habe ich schon öfter in Tschechien erlebt, dass Züge zeitweise stark verspätet waren, das dann aber alles wieder reinfuhren. Dennoch gucke ich etwas kritisch auf die Uhr, denn meine Umsteigezeit in Graz beträgt nur gute 10 Minuten.

Jetzt ist es aber erstmal kurz nach 13 Uhr und mein Magen knurrt wieder. Der neue Kellner, der in Prag eingestiegen ist und fast akzentfrei Deutsch spricht, war schon mehrfach durch den Wagen gegangen und hatte mir auch schon zweimal Cola gebracht. Nun bestelle ich auch ein Mittagessen bei ihm: „Kalbfleisch im bunten Pfeffer gebraten, Linsensalat mit Gemüse“ wie es in der Speisekarte heißt. Ich kenne das Gericht schon. Es ist ein Klassiker und steht schon Jahre auf der Karte. Vor der Lieferung des Essens gehe ich noch schnell auf die Toilette, schließlich werde ich gleich wieder „eingebaut“.

Wie immer schmeckt das Gericht vorzüglich. Das stille Wasser, das auch an meinem Platz steht, bekam ich bereits vorher von der Zugbegleiterin. Es ist in der 1. Klasse in Tschechien inklusive.  Die erste Flasche hatte bereits der erste Kellner in Deutschland allen Fahrgästen verteilt und die tschechische Zugbegleiterin bot mir auch eine zweite Flasche an. Ein netter Service.

Blick auf Brünn

Irgendwann erreichen wir dann Brünn – mittlerweile mit einer Verspätung von 25 Minuten. Hier steigt der ältere Man neben mir in der Business Class aus, außerdem noch ein paar andere Fahrgäste. So langsam mache ich mir doch Sorgen um meinen Anschluss.

Der Zug fährt nun auf der Hauptstrecke wieder schneller und dem Grenzbahnhof Breclav entgegen. Hier angekommen, setze ich kurz wieder einen Fuß auf dem Bahnsteig. Nebenan steht eine REX-Doppelstockgarnitur der ÖBB. Die tschechische Zugbegleiterin, die immerhin die komplette Fahrt von Decin bis hier durch Tschechien begleitet hat (bei der DB hätte man wahrscheinlich auf so einer langen Fahrt mindestens einen, wenn nicht mehrere, Personalwechsel gehabt), steigt hier aus und ihr österreichischer Kollege ein.

Ich hoffe, dass es schnell weitergeht und wir vielleicht doch noch Verspätung aufholen. Der Zug hätte planmäßig 10 Minuten Aufenthalt in Wien. Das könnte helfen. Doch wir fahren einfach nicht ab. Irgendwann kommt eine Durchsage – übrigens nur auf Deutsch –, dass sich die Abfahrt auf unbestimmte Zeit verzögert, weil ein defekter Güterzug auf der Strecke steht. Das wird wohl nichts mehr mit dem Umstieg in Graz.

Es dauert dann Gott sei Dank nicht mehr so lange. Mit um die 40 Minuten Verspätung geht es über die Grenze auf die Nordbahn Richtung Wien. Einen Zwischenhalt gibt es bis Wien nicht noch und sogar die Sonne versucht sich bei der Fahrt durch das hier sehr flache Niederösterreich durch die Wolken zu kämpfen.

Ich bestelle mein erstes und einziges Bier am heutigen Tag. Ein frisch gezapftes Budweiser darf es dann schon einmal sein, wenn man schon mit einem tschechischen Zug fährt. Noch ist das Bier billig, denn es zählt in Sachen „Happy Hour“ immer der letzte Abfahrtsbahnhof und der liegt bis zum Halt in Wien noch in Tschechien.

Beim Abräumen – immer noch vor Wien – fragt mich der Kellner noch, ob ich in Wien aussteige oder weiterfahre. Wenn ich ausstiege, würde er kassieren. Da ich sage, dass es für mich weitergeht, fragt er mich nur nach einem letzten Wunsch für die „Happy Hour“. Ich verneine.

Der railjet überquert erst die neue Donau und dann die Donau selbst. Dabei blicke ich auf das Vienna International Centre mit mehreren Hochhäusern, in denen UN-Institutionen sitzen. Dahinter ist die schöne Silhouette des Wienerwaldes mit Leopoldsberg und Kahlenberg zu sehen. Ich erinnere mich zurück, an den September 2018, als ich einen Monat in dieser großartigen Stadt für ein Praktikum leben und arbeiten durfte und täglich mit diesem Blick über die Donau fahren durfte – allerdings damals in der Regel über die weiter nördlich liegende Floridsdorfer Brücke.

Ich möchte nachschauen, wie verspätet wir derzeit sind und ob wir noch Verspätung aufholen konnten. Beim Blick in die ÖBB App bekomme ich einen kleinen Schock: Dort steht, wegen der Verspätung würde der Zug in Wien enden. Stattdessen ist ein pünktlicher Ersatzzug von Wien nach Graz eingetragen, der längst abgefahren sein sollte. Wird hier also wie in der Schweiz verfahren? Verspätete Züge werden am ersten Halt nach der Grenze gekappt und pünktlich ein inländischer Ersatzzug gefahren?

In seiner Ansage des nächsten Halts, Wien Hauptbahnhof, sagt der Zugbegleiter aber nichts dergleichen, dass der Zug enden würde. Bezahlt habe ich mein Essen und Trinken auch noch nicht. Ich mache mich trotzdem halbwegs bereit, im Notfall recht schnell aussteigen zu können.

Wir fahren in den Wiener Hauptbahnhof ein und fast alle Fahrgäste verlassen den Zug. Ich gehe zu Tür und sehe wenige Fahrgäste, die einsteigen, aber auch eine neue Zugbegleiterin, die einsteigt. Also war das in der App vielleicht doch falscher Alarm.

Der Zug steht einige Minuten, dann geht es weiter. Aber er steht zu lange, um nennenswert Verspätung aufzuholen. Meine geplante Verbindung kann ich abhaken, das ist jetzt ziemlich klar. Bei der Fahrt vom Wiener Hauptbahnhof bis zum zweiten Halt in Wien, dem Bahnhof Meidling, fällt der Blick über die Lärmschutzwände auf die Häuser am Margaretengürtel – hier sieht es ganz so aus wie Wien eben aussieht.

Nach der Abfahrt in Wien Meidling behauptet die ÖBB-App noch immer, dass der Zug ab Wien Hauptbahnhof ausfallen würde, dafür hat der eingetragene Ersatzzug ab Wien nun unsere Verspätung. Also fahren wir jetzt wohl unter der Ersatzzugnummer. Was diese Verwirrung von Reisenden in der App soll, bleibt mir ein Rätsel.

Bei der zügigen Fahrt bis Wiener Neustadt geht es durch Weinreben, und die Dämmerung setzt bereits ein. Das ist der Nachtteil dieser Fahrt so spät im Jahr. Aber ich wollte es eben noch schaffen, bevor der Zug erstmal eingestellt wird.

Dann geht es Richtung Semmering. Ich habe eine ganz besondere Beziehung zu dieser UNESCO-Welterbe-Strecke, wovon ich hier schon geschrieben habe. Heute ist es aber schon fast zu dunkel, um die Ausblicke wirklich zu genießen. Ich muss mein Gesicht schon an die Scheibe drücken und das grelle Großraumlicht mit den Händen abdichten, um noch genug zu sehen. Hier der Blick etwa auf Höhe Eichberg Richtung Wiener Becken:

Dieser railjet hält sogar an der Passhöhe, im Bahnhof Semmering. Somit gibt es die tolle Direktverbindung Berlin (oder meinetwegen auch Doberlug-Kirchain) – Semmering. Ich setze noch einen kurz Fuß nach draußen, um die stimmungsvolle Atmosphäre fotografisch festzuhalten, dann pfeift die Zugbegleiterin schon wieder zur Abfahrt.

Auf der anderen Seite des Semmering-Tunnels ist es dann aber langsam wirklich so dunkel, dass ich quasi nichts mehr draußen erkennen kann. Seit über 10 Stunden bin ich nun in diesem Zug unterwegs, aber es fühlt sich nicht so an. Ich könnte gefühlt noch deutlich länger hierbleiben. Die Stimmung im Wagen wird mit der Dunkelheit draußen wieder so gemütlich wie am Morgen. Dazu trägt auch bei, dass mittlerweile die Anzahl der Fahrgäste, auch wie heute früh, überschaubar geworden ist. Trotzdem muss ich eine Entscheidung treffen:

Der Anschluss in Graz wird nicht funktionieren. Ich muss heute noch nach Salzburg, dort habe ich mein Hotel. Das hat Gründe, die mit meiner Planung des nächsten Tages zusammenhängen. Der Zug wird in Graz auch nicht warten, denn der Anschluss macht für normale Reisende keinen Sinn, weil er zunächst einen Großteil der Strecke zwischen Graz und Bruck an der Mur (vorletzter Bahnhof des Vindobonas) zurückfährt, ehe er kurz vor dem Bahnhof Bruck an der Mur in Richtung Leoben abbiegt. Man kann auch direkt von Bruck nach Leoben fahren – der dritte Schenkel des dortigen Streckendreiecks.

Ich habe also zwei Möglichkeiten: Ich steige in Bruck an der Mur aus, fahre mit einem anderen Zug direkt nach Leoben – kürze also ab – und steige dort wieder in den geplanten Zug nach Salzburg. Die zweite Möglichkeit: Ich fahre, wie geplant, bis Graz. Verpasse dort den Anschluss und fahre mit der letzten Verbindung des Tages, zwei Stunden später, in Richtung Salzburg. Das hat drei Nachteile: Ich muss in Bischofshofen nochmals umsteigen, bin erst um Mitternacht in Salzburg und es gibt keinen Speisewagen. Somit ist die Entscheidung dann doch recht schnell klar: Ich zahle mein Essen und meine Getränke, verabschiede mich vom tschechischen Kellner und verlasse nach über 11 Stunden den Zug in Bruck an der Mur. Ich verpasse im eigentlichen Sinne nichts mehr – es ist ja dunkel. Aber schade ist es doch auf eine bestimmte Art und Weise, dass ich den Vindobona nicht ganz fahren konnte. Ich hoffe, die Chance kommt wieder.

Etwa 50 Minuten Zeit habe ich nun, bis die S-Bahn fährt, die mich bis nach Leoben bringt. Zeit, in der ich am Bahnhof etwas auf- und abgehe und ein paar Fotos mache. Die nächtliche Stimmung mit dem beleuchteten Bahnhof ist schön, und es ist hier auch nicht so kalt wie heute früh und gestern Abend in Berlin. Es lässt sich also draußen aushalten.

Die S-Bahn kommt pünktlich, endet und wendet hier, sodass ich einige Minuten vor der Abfahrt dann in den doch angenehm warmen Zug einsteigen kann.

Die Fahrt bis Leoben dauert 10 Minuten. Dort muss ich dann nochmal eine Viertelstunde am Bahnsteig warten, bis der IC „Ennstal“ von Graz nach Salzburg einfährt. Die Besonderheit: Dieser innerösterreichische Intercity wird von einer deutschen Zuggarnitur gefahren. Der Zug kommt als EC aus Saarbrücken in Graz an und fährt dann wieder zurück an die deutsche Grenze. Von Salzburg gibt es dann sogar noch eine Betriebsfahrt nach Freilassing, sodass die Garnitur in Deutschland übernachtet.

Mich zieht es direkt ins Bordbistro mit gemischten Gefühlen: Mein Glück im IC-Borbistro der DB war in den letzten Monaten sehr gering. Die alten Wagen scheinen sehr anfällig zu sein. Häufig sind sie in diesem Umlauf gar nicht erst eingereiht und wenn doch, funktioniert häufig irgendetwas wichtiges nicht, sodass es kaum oder gar kein Essen gibt. Die Wahrscheinlichkeitsquote, dass der Wagen vorhanden war und so weit funktionierte, dass ich vernünftig etwas essen konnte, lang bei mir in den letzten Monaten bei geschätzten 20 bis 30 Prozent.

Der DB-Kellner ist allein im Wagen, als ich mit meinem Gepäck eintrete und begrüßt mich freundlich. Ich frage ihn, ob es sich lohnt, sich hinzusetzen, also ob es Essen gebe. Er sagt, als wäre das selbstverständlich: „Schauen Sie in die Speisekarte – alles da.“

Es ist schön, im richtigen Moment auch einmal Glück zu haben. Selbst die Spülmaschine funktioniert und meine Currywurst mit Pommes kommt in echtem Geschirr und nicht in Pappe und sie schmeckt so gut wie selten. Das liegt wohl an der Situation, denn ich hatte mich zur Sicherheit schon einmal darauf eingestellt, dass ich mein Gebäck essen muss, das ich heute früh in Berlin gekauft habe.

Während ich esse, kommen auch andere Fahrgäste in den Wagen und bestellen Getränke und Essen. Der Dame am Nebentisch kann der Kellner aber keinen Milchkaffee bieten, da er keine Milch hat. Also ist doch nicht alles perfekt, aber schon sehr viel – diese Kleinigkeit sei verziehen.

Ich habe aufgegessen und begebe mich in ein Abteil der 1. Klasse. Die Garnitur verfügt über zwei 1. Klasse-Abteilwagen. Viele Fahrgäste sitzen hier nicht, fast alle Abteile sind leer. Dank der allgemeinen Fahrpreisgestaltung in Österreich, und nicht zuletzt dank des Klimatickets, ist die 2. Klasse in Österreich allgemein deutlich stärker ausgelastet als die 1. Klasse. Die Differenz zwischen der Benutzung von 1. und 2. Klasse scheint mir in Österreich deutlich stärker ausgeprägt zu sein als in Deutschland. Aber das ist nur ein persönlicher Eindruck. Ich weiß nicht, ob es objektiv auch so ist.

Ich setze mich in ein Abteil ganz vorne im Zug und schalte das Licht aus. Dafür geht ein kleines Lichtlein oberhalb der Abteiltür an und der Gang ist natürlich auch schwach beleuchtet. Ein Abteilwagen ist gerade abends somit schon etwas sehr Schönes im Vergleich zur OP-mäßigen Beleuchtung im Großraum.

In Selzthal gibt es den ersten Fahrrichtungswechsel des Zuges mit ein paar Minuten Aufenthalt. Zeit, dass ich mir wieder kurz die Füße vertrete.

Weiter geht die Fahrt durchs Ennstal. Obwohl das große Licht ausgeschaltet ist, ist es immer noch zu hell im Abteil dafür, einigermaßen gut nach draußen schauen zu können. Ich sehe einige Lichter, höre Weihnachtsmusik. Es ist schön. Ich erinnere mich an meine Schlafwagenfahrt durchs Ennstal mit dem umgeleiteten Nachtzug. Da konnte man das Licht wirklich ganz ausschalten und sah noch mehr – das war noch schöner.

Vom Ennstal geht es weiter in den Pongau und der Zug hat in Bischofshofen nochmal einen Fahrrichtungswechsel.

Von hier aus ist es weniger als eine Stunde Fahrt bis in die Landeshauptstadt. Pünktlich gegen viertel vor zehn erreicht der Zug seinen Endbahnhof Salzburg Hauptbahnhof. Meine Fahrkarte wurde dabei übrigens keinmal kontrolliert. Einmal ging der Zugbegleiter durch meinen Wagen und nickte mir nur zu. Wahrscheinlich dachte er, er habe mich schon gesehen, was auch stimmt, wir hatten uns draußen vor dem Zug beim Richtungswechsel in Selzthal auch zugenickt. Meine Fahrkarte hatte er aber nie gesehen. Per Lautsprecherdurchsage bittet man die Fahrgäste in Salzburg, zügig auszusteigen. Das tue ich auch. Nach einem langen und schönen Eisenbahntag, der nie hätte enden dürfen.

 

2 Gedanken zu „Vom Vindobona bis nach Salzburg“

  1. Als in die CH ausgewanderter Eisenbahn-affiner Wiener freue ich mich immer wieder über solche Berichte, die ich stundenlang lesen könnte!
    Nun im Eisenbahnwunderland Schweiz daheim staune ich immer wieder, was mit der Eisenbahn in DE so passiert, obwohl ich das nur vom Hörensagen her kenne. Möge doch die Bahn wieder einen höheren Stellenwert bei den zuständigen Politinstanzen bekommen. Sie ist wahrlich ein wunderbares Transportmittel!

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