Im umgeleiteten Nachtzug nach Rom und über die Berninabahn zurück

Wenn eine wichtige Bahnstrecke wegen Bauarbeiten gesperrt ist, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder gibt es im Bereich der Sperrung einen Schienenersatzverkehr mit Bussen oder der Zug wird über eine andere Strecke umgeleitet. Die Möglichkeit der Umleitung wird eigentlich nur in Betracht gezogen, wenn es eine alternative Strecke in der Nähe gibt, sodass sich die Fahrt in vertretbaren Rahmen verlängert. Nachtzüge stellen hier eine Ausnahme dar, schließlich möchte man die Fahrgäste wohl in der Regel nicht mitten in der Nacht aus dem Bett holen, sie in einen Bus setzen, um sie auf der anderen Seite der Sperrung (bestenfalls) wieder in den nächsten Schlafwagen einsteigen zu lassen. Das würde DEN Vorteil schlechthin des klassischen Nachtzuges zunichtemachen. Genau aus diesem Grund kann man bei Nachtzügen häufig auch weiträumige Umleitungen erleben, gerade in Österreich.

Im Herbst 2018 war die Tauernbahn zwischen Schwarzach-St.Veit und Villach einen knappen Monat lang gesperrt (konkret im Abschnitt Schwarzach – Böckstein). Der ÖBB nightjet München – Rom wurde in dieser Zeit weiträumig von Bischofshofen über das Ennstal, Leoben und den Neumarkter Sattel nach Villach umgeleitet. Dies sorgte dafür, dass der Zug in München vier Stunden früher losfuhr als gewöhnlich, nämlich um 16 Uhr statt um 20 Uhr. Am Nachmittag schon in einen Nachtzug einsteigen – das wollte ich unbedingt erleben.

Als Rückfahrt beschreibe ich die Fahrt mit dem italienischen Hochgeschwindigkeitsverkehr nach Mailand und weiter über Tirano, die Berninabahn (UNESCO Welterbe) und die Schweiz zurück nach Hause.

Hinweis: Diese Tour hat so nicht stattgefunden. Für diesen Reisebericht habe ich eine Fahrt nach Rom und eine Rückfahrt von Rom über die Berninabahn zu einer Reise zusammengefasst. Tatsächlich bin ich im Herbst 2018 auch wieder mit dem umgeleiteten Nachtzug zurückgefahren und die Fahrt Rom – Tirano – Deutschland habe ich schon mehrmals in den vorherigen Jahren durchgeführt, ohne dass ich nach Rom mit einem umgeleiteten Nachtzug angereist bin. Ich beschreibe eine Rückfahrt aus Rom, die ich mit meinem Vater im Juni 2016 gemacht habe. Dabei greife ich aber nicht nur auf Bilder dieser beschriebenen Rückfahrt zurück sondern nutze auch Bilder weiterer Reisen auf dieser Strecke. Daher bitte nicht wundern, wenn die Fotos teilweise unterschiedliches Wetter/unterschiedliche Jahreszeiten zeigen.

Mit dem ICE geht es von Münster nach München. Mit dem nightjet über die Umleitungsstrecke nach Rom. Nach einem Tag und einer Nacht in Rom geht es mit dem Hochgeschwindigkeitszug nach Mailand und mit der Regionalbahn entlang des Comer Sees nach Tirano. Dort verbringen wir eine weitere Nacht. Der letzte Reisetag führt uns über die Bernina- und Albulabahn nach Chur, entlang des Walen- und Zürichsees nach Zürich und mit einer Tagesrandverbindung zurück nach Münster.

Die Reise beginnt am frühen Donnerstagmorgen am Hauptbahnhof von Münster. Im durchgehenden ICE 513 „Münsterland“ fahre ich von Münster nach München. Die Fahrt dauert ca. sechseinhalb Stunden. Zum Einsatz kommt ein ICE3 Velaro.

Die Fahrt in der 1. Klasse verläuft soweit unspektakulär. Zwischendurch bestelle ich mir ein kleines Frühstück an den Platz.

Es soll für mich die letzte Fahrt gewesen sein, die ich vor der Umstellung der Bordgastronomie bei der DB gemacht habe. Im Herbst 2018 vereinfachte die DB ihr Gastroangebot. Es gibt seitdem eine kleinere Auswahl und neues Geschirr. Die oben zu sehende Tasse gibt es seitdem nicht mehr, ebenso wie Brezeln.

Die Auslastung hält sich an diesem Donnerstagmorgen in Grenzen. Auf der Schnellfahrstrecke Köln – Frankfurt erreicht der Zug 300 km/h. Das Wetter zeigt sich eher von der trüben Seite.

Ein kleines landschaftliches Highlight gibt es zwischen Stuttgart und Ulm- die Fahrt entlang der Geislinger Steige:

Obwohl ich mir das Essen auch an den Platz bringen lassen könnte, gehe ich nach dem Halt in Ulm in den Speisewagen. Die Atmosphäre dort ist einfach schöner.

Pünktlich erreicht mein Zug gegen halb eins den Münchener Hauptbahnhof.

Bis zur Abfahrt des Nachtzuges sind es nun noch dreieinhalb Stunden. Letztlich war der lange Aufenthalt in München als Puffer gedacht. Hätte ich den Nachtzug verpasst, wäre der komplette Zweck der Reise „abgefahren“. Aber ich freue mich auch jetzt pünktlich hier in München zu sein, dann kann ich noch etwas in die Stadt gehen.

Nun sind dreieinhalb Stunden aber fast schon zu viel Zeit, um nur eine Runde durch die Fußgängerzone zu drehen, also entscheide ich mich, mit der U-Bahn zum Olympiapark zu fahren und dort ein bisschen spazieren zu gehen. Der Himmel ist zwar grau, es regnet aber nicht.

Rechtzeitig bin ich zurück am Hauptbahnhof. Der Zug wird frühzeitig am Gleis angezeigt, wobei hier wohl für die Kurswagen nach Mailand die Devise gilt „dreifach gemoppelt hält besser“.

Kurze Zeit später wird der nightjet auch schon bereitgestellt. Wirklich viele Reisenden scheinen sich für den Nachtzug mitten am Nachmittag aber nicht zu interessieren. Ich sehe kaum jemanden einsteigen.

In „meinem“ Schlafwagen (einem von zwei Schlafwagen nach Rom) gibt es immerhin noch einen anderen Reisenden. Bei dieser Auslastung wundere ich mich dann doch, warum ich kein Deluxe-Abteil mit Dusche und WC mehr bekommen habe. Werden so viele Fahrgäste in Österreich (Salzburg?) einsteigen? Ich ging bisher immer davon aus, dass dieser Zug vor allem für  Einsteiger in München gedacht ist. So kannte ich den Zug bisher zumindest. Aber vermutlich ist diese Abfahrt um 16.02 Uhr einfach zu früh.

Über 17 Stunden in einem Zug – nightjet XXL

Das Personal ärgert sich derweil damit herum, dass offenbar ein Großteil der WCs im Zug „unbenutzbar“ ist. Gott sei Dank ist da mein Wagen nicht davon betroffen. Die Zugcheffin will zuerst den Zug überhaupt nicht abfahren lassen. Irgendwann, mit ca. 10 Minuten Verspätung, geht es dann doch los.

Auch der Schlafwagenschaffner interessiert sich zunächst überhaupt nicht für seine beiden Fahrgäste und werkelt in seinem Dienstabteil herum. Erst nach dem Halt in Rosenheim (weiterhin keine weiteren Fahrgäste in „meinem“ Wagen) kommt er zum einchecken.

Nachdem mir der Schaffner auch die Schlüsselkarte zu meinem Abteil gegeben habe, beschließe ich, mich einen Wagen weiter in den Sitzwagen zu setzen. In meinem kleinen Schlafwagenabteil verbringe ich noch genug Zeit. Außerdem macht das für mich diesen Reiz dieser langen Nachtzugfahrten aus: Man kann sich relativ frei im Zug bewegen, da man seine Sachen quasi im Abteil „eingeschlossen“ hat. Der Zug wird auf solchen Fahrten auch vom Gefühl her zur Heimat für eine gewisse Zeit, man fühlt sich auf eine verrückte Art dort zuhause und bewegt sich ganz frei dort. Dieses Gefühl kenne ich aus keinem Tageszug.

Im Sitzwagen nebenan sitzt exakt ein Fahrgast. Ich habe also quasi freie Abteilwahl. Allerdings wurden hier im Sitzwagen die Reservierungen gesteckt und ich stelle fest: Der Wagen ist restlos ausreserviert und fast jeder Platz ist ab Salzburg reserviert. Beeindruckend, wie viele Fahrgäste so eine 150.000 Einwohner-Stadt (+ Umland) generiert und das an einem Donnerstagabend, also mitten in der Woche. Während ich darüber nachdenke, fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Morgen ist Nationalfeiertag in Österreich! Die haben ein langes Wochenende und fahren für so ein Wochenende nach Rom!

Damit ist natürlich alles klar und die Auslastung und die extrem vielen Fahrgäste mit Zustieg in Salzburg im Vergleich zu München sind so zu erklären. Und selbst in Salzburg ist die Abfahrt mit kurz nach 18 Uhr noch ziemlich früh für einen Nachtzug.

Während ich so im Abteil sitze, meine Gedanken kreisen lasse und die Berge beobachte, klopft es an der Tür. Zwei Männer in zivil kommen ins Abteil. Beide kommen wir bekannt vor und mir ist noch bevor sie etwas sagen klar, wer sie sind – Polizisten. Vielleicht ist das auch ein Zeichen, dass ich zu häufig zwischen München und Salzburg unterwegs bin, wenn ich schon die Gesichter der Polizisten erkenne? 😉 Die beiden sind – wie ich sie schon kenne – sehr freundlich und schauen auf meinen Ausweis. Außerdem werden die üblichen Fragen gestellt: Woher ich jetzt komme, wohin ich fahre und warum. Ich erzähle vom wahren Grund meiner Reise und es entspinnt sich ein kleines nettes Gespräch über Nachtzüge, deren Reiz und darüber, dass die DB leider alle Nachtzüge eingestellt hat. Solche netten und freundlichen Begegnungen mit Polizisten, bei denen auch die Polizisten nicht nur ihr übliches Raster abarbeiten, sondern auch mal aus der Rolle fallen und wirklich persönliches Interesse bekennen, interessiert sind und eine wirkliche Unterhaltung beginnen, entschädigen zumindest etwas für die immer wieder unsinnigen Kontrollen an der Grenze durch die Bundespolizei (teilweise mit Wecken nachts um 4 Uhr in Salzburg – siehe diesen Reisebericht).

Die Fahrt über die Salzach genieße ich noch im Abteil des Sitzwagens und gehe dann zurück in mein Abteil im Schlafwagen, schließlich wird sich der Zug wenige Augenblicke später im Hauptbahnhof von Salzburg bis auf den letzten Platz füllen.

In Salzburg steht der Zug planmäßig 15 Minuten, also vertrete ich mir noch ein bisschen meine Füße auf dem Bahnsteig und sehe, wie im Zug fleißig Gepäck verstaut wird und sich in vollen Abteilen eingerichtet wird. Mein Abteil ist derweil verschlossen und ich kann mir mit der Schlüsselkarte das Spektakel aus sicherer Entfernung anschauen.

Rechtzeitig steige ich wieder in den Zug ein. Der Zug fährt ab und die Dämmerung setzt ein.

Ich genieße die Stimmung mit dem Blick nach draußen auf die Berge. Ich bin schon seit über zwei Stunden in diesem Zug, die Ankunft wird erst am späten Morgen sein und ich habe die komplette Freiheit. Ich habe mein eigenes Bett, mein eigenes Abteil – muss mich nach niemandem richten. Das ist Freiheit!

Nach etwa einer Stunde Fahrt seit Salzburg erreicht der Zug den ersten Betriebshalt in Bischofshofen. Es gibt keine Ansage, aber die Türen werden freigegeben. Da ich weiß, dass die Lok den Zug umfahren muss, weil für die Fahrt über die Ennstalbahn ein Fahrrichtungswechsel erforderlich ist, steige ich aus. Ich beobachte das Abkuppeln und Umfahren der Lok und schnappe noch etwas frische Luft.

Mit der Zeit trauen sich auch weitere Fahrgäste (größtenteils Raucher) nach draußen. Das ist das Gute, wenn man sich so wie ich ein bisschen betrieblich auskennt, dann kann man solche Betriebshalte ohne Sorge nutzen und auf den Bahnsteig gehen (sofern erlaubt und Türen freigegeben). Bevor die Lok nicht auf der anderen Seite des Zuges angekuppelt ist weiß ich, dass wir nicht weiterfahren werden. „Normale“ Fahrgäste achten auf solche Dinge häufig nicht und haben dann Angst, dass der Zug einfach abfahren könnte.

Irgendwann ist die Lok dann aber dran, ich steige wieder ein und einige Minuten später geht es dann auch weiter. Ich bestelle noch einen Abendsnack beim Schlafwagenschaffner. Wenn ich schon so lange in diesem Zug bin, dann will auch dieses Angebot mal nutzen.

Nachdem ich aufgegessen habe, schalte ich das Licht im Abteil natürlich direkt wieder aus. Die Ennstalstrecke bei Nacht ist wunderbar. Der Mond ist zu sehen, die Lichter an den Bergen – herrlich.

Nachdem wir durch Schladming gerollt sind (Kreuzung mit einem innerösterreichischen Intercity der aus Wagen der DB gebildet ist), lasse ich mein Abteil von Tag- auf Nachtstellung umbauen.

Aus dem Bett schaue ich weiter nach draußen und genieße die tolle Stimmung! Noch bevor wir den nächsten Betriebshalt mit Fahrtrichtungswechsel (Selzthal) erreichen, schlafe ich ein.

Ich schlafe tief und fest und bekomme von den weiteren Betriebshalten und auch vom Rangieren in Villach nichts mit. Das ist der Vorteil, wenn man relativ müde in den Nachtzug eingestiegen ist – dann schläft man meist auch recht gut. Und ich war ja am Morgen früh aufgestanden, um um 6.00 Uhr am Hauptbahnhof in Münster zu starten.

Um kurz nach halb acht wache ich irgendwo zwischen Florenz und Rom auf. Für mich ist dieses Aufwachen in Italien immer etwas Besonderes. Bei keinem anderen Nachtzug aus Deutschland ist dieses Gefühl wirklich woanders aufzuwachen größer als bei dem nach Rom. Das liegt daran, dass hier von der Vegetation bis zur Architektur wirklich alles aus dem Fenster ganz anders aussieht als noch am vorherigen Abend. Diesen Unterschied habe ich so extrem noch bei keiner anderen Nachtzugfahrt wahrgenommen.

Normalerweise war ich es immer gewöhnt, dass mich in Italien die Sonne weckt. Heute ist es hier so grau wie gestern auch in Deutschland.

Irgendwann bringt der Schlafwagenschaffner dann das Frühstück, dass ich gestern Abend auf dem Frühstückszettel mir selbst zusammengestellt habe.

Der Zug fährt derweil ziemlich schnell Rom entgegen. Irgendwann halten wir in einem Tunnel, in dem man mit ziemlichen Druckstößen zu kämpfen hat. Bei all meinen Fahrten im Nachtzug nach Rom ist das bisher passiert. Ich weiß nicht, ob dieser Zug planmäßig einen Betriebshalt im Tunnel hat, aber ein Zufall kann das bei über fünf Fahrten eigentlich kaum sein.

Mit etwa 20 Minuten Verspätung (für diesen Zug ist das top) treffen wir dann in Rom ein.

Die Fahrt war wunderbar und ich hatte auch nicht das Verlangen unbedingt ganz schnell anzukommen. Diese Ruhe und Zeit im Zug zu haben ist unglaublich entspannend. Das würde ich tatsächlich auch noch einmal gezielt so wiederholen.

Aber jetzt bin ich in Rom! Auch was Ziele von Nachtzügen aus Deutschland angeht, geht es eigentlich kaum besser.

Der Himmel ist noch grau, aber es ist mild und das Wetter soll über den Tag immer besser werden. Einige Eindrücke vom Tag:

Kolosseum

Forum Romanum

Blick vom Monumento a Vittorio Emanuele IIPetersplatz

Trevi-Brunnen

Circus Maximus

Das Wetter am Abend entschädigt für das Grau am Morgen. Leider geht die Sonne Ende Oktober schon wieder sehr früh unter.

Während ich nun tatsächlich wieder zum Bahnhof bin und mit dem Nachtzug zurückfahre, springen wir jetzt in den Juni 2016 und einen längeren Aufenthalt in Rom. So können wir Rom auch bei Dunkelheit erleben, was sehr zu empfehlen ist.

Mit der U-Bahn geht es schließlich ins Hotel.

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