Januar-Frühling am Ätna und in Italien

Mein Wecker klingelt früh, aber das ist dank meiner suboptimalen Reiseplanung nicht zu ändern. Schließlich lockt der Ätna. Ich schmeiße mich in meine Klamotten, packe zusammen. Für ein Frühstück in der Unterkunft ist es noch zu früh. Dafür stillt draußen die aufgehende Sonne den ersten Hunger nach neuen Erlebnissen. Es ist ein traumhafter Morgen, das Meer ist leise zu hören, ansonsten ist es ruhig und der Himmel ist klar. Es ist kurz nach 7 Uhr, und ich darf nun wieder die Dreiviertelstunde bis zum Bahnhof laufen. Im „dürfen“ steckt dabei keineswegs ein genervter Unterton, vielmehr ist es ein Glück, eine Freude, diese Landschaft bei dieser Morgenstimmung und absoluter Ruhe noch einmal erleben zu dürfen.

So früh an diesem Samstagmorgen begegne ich niemandem auf der Straße, nur selten fährt ein einsames Auto an mir vorbei, doch die Motorgeräusche verhallen schnell. Dann bin ich wieder in dieser Stimmung. Ich bleibe stehen, mache Fotos, atme tief ein und aus. Irgendwann dann der Blick auf den Ätna im schönsten Morgenlicht. Am Gipfel hängt eine Wolke. Ob der Ätna „raucht“ oder es eine „normale“ Wolke ist, kann ich nicht beurteilen.

Irgendwann dann erreiche ich den Bahnhof. Er glitzert beinahe schon golden in der Morgensonne, wie ein Palast. Eine Viertelstunde noch bis mein Zug fährt. Ich gehe alles ab, beide Bahnsteige, die öffentlich zugänglichen Räume im Empfangsgebäude. Auch am Tag nach meinem Erstbesuch bleibt es unwirklich, wie schön ein Bahnhof sein kann.

Der herannahende Zug stört die Stille mit dem Meeresrauschen. Etwa 20 Minuten dauert die Fahrt, den Ätna dabei fest im Blick. Dann komme ich an im Staatsbahn-Bahnhof Giarre-Riposto.

Der Bahnhof Giarre liegt direkt gegenüber auf der anderen Seite des Bahnhofsvorplatz. Er wirkt verwaist und ist auch nicht der Endbahnhof der Ferrovia Circumetnea. Dieser liegt einen guten Kilometer entfernt Richtung Meer in Riposto. Giarre und Riposto – zwei Orte, die ineinander übergehen, getrennt durch die Strecke der Staatsbahn.

Wenn ich schon hier bin, möchte ich die Strecke natürlich komplett fahren, also laufe ich durch die Straßen bergab. Der Tag erwacht hier gerade, ich sehe nur wenige Menschen hier draußen. Nach etwa einer Viertelstunde Fußmarsch, teils entlang der schmalspurigen Gleise der Ferrovia Circumetnea, erreiche ich ein unscheinbares rotes Gebäude, auf dem aber der Name der Bahn geschrieben steht. Die Türen sind verschlossen, ich gehe daher links am Haus vorbei und finde mich auf dem Bahnsteig wieder. Ein einsamer älterer grün-roter Triebwagen steht auf dem Gleis. Der Lokführer werkelt umher, ein anderer Mann, vermutlich Tourist, macht Fotos. Ich bin die dritte Person, ansonsten ist es hier menschenleer. Am Ende der Gleise stehen zwei Depots, die Rolltore sind geschlossen. Die Signale sind alle dunkel, es leuchten keine Lichter. Auf einem Seitengleis zwei ältere Wagen mit Graffiti und eingeschlagenen Fenstern. Es sieht alles danach aus, als wäre hier in früheren Zeiten mal mehr los gewesen.

Die Türen zum Bahnhofsgebäude sind auch zum Gleis hin verschlossen. Außer dem Lokführer sehe ich niemanden und beginne mich zu fragen, wer mir denn die Fahrkarte für die Fahrt verkaufen kann. Ich steige deshalb ein und möchte den recht alten Lokführer fragen. Englisch scheint er nicht zu verstehen, beim mehrmaligen Nachfragen „Ticket?“ gepaart mit entsprechenden Gesten scheint er mich dann zu verstehen und deutet mir an, ich solle mich in den Zug setzen. Möglicherweise kommt also später jemand durch, der mir eines verkaufen kann.

Ich setze mich hin, ziehe das Fenster nach unten und stecke den Kopf heraus. Irgendwann startet der Lokführer dann den Motor und auch der andere Fahrgast steigt zu. Er saß noch draußen und hatte auf einem Block mit Bleistift den Triebwagen gezeichnet. Kurz vor Abfahrt tut sich dann noch etwas. Eine Gruppe von drei Personen, sie scheinen Einheimische zu sein, sprechen zumindest italienisch, kommt auf den Bahnsteig und steigt ein. Dann läuft quer über die Gleisanlagen ein Schaffner, er kommt aus Richtung des Depots. Er schließt eine der Türen zum Bahnhofsgebäude auf, offenbar, um hier noch irgendetwas zu tun, damit wir abfahren können. Er schließt wieder ab, steigt ein, die Türen schließen sich und der Zug setzt sich in Bewegung.

Der Zug brummt und klappert den Anstieg nach Giarre hoch. Ich strecke meinen Kopf an die frische Luft und genieße den Fahrtwind. Nach wenigen Minuten bin ich wieder dort, wo ich vorhin schon war – in Giarre. Kurz gibt es Gemurmel im Zug auf Italienisch, dann steigen alle aus. Ich verstehe nichts und bleibe sitzen, bis mich der andere Fahrgast sieht, der schon vor mir am Bahnhof von Riposto war, den Zug gemalt hatte und mitbekommen hatte, wie ich den Lokführer nach „Ticket?“ gefragt hatte. Nun sagt der Mann, der offenbar auch keine ganzen Sätze auf Englisch sagen kann, „Ticket“ zu mir und deutet den Weg nach draußen. Und tatsächlich, im Bahnhofsgebäude sitzt in einem kahlen modern verputzten Raum ein weiterer Mann der Bahngesellschaft und verkauft uns allen Fahrkarten. Auch hier klappt die Verständigung nur mit Händen und Füßen. Ich sage „Catania“ und er tippt 6,80 Euro auf seinem Taschenrechner ein. Da ich kein Terminal für eine Kartenzahlung weit und breit sehe, gehe ich davon aus, dass nur Barzahlung möglich ist. Viel bietet mein Portemonnaie nicht mehr. Ich reiche einen 50 Euro-Schein. Der Herr wirkt verzweifelt und ich verstehe, dass dieser Schein zu groß zum Wechseln ist. Irgendwie bekomme ich dann aber mit Münzen das Geld zusammengekratzt und er gibt mir eine Fahrkarte. Eine Karte mit Magnetstreifen, wie man sie von U-Bahnen mit Zugangs-Drehkreuzen kennt. Nachdem ich als letzter Fahrgast nun auch meine Fahrkarte habe, verabschiedet sich der Schaffner, der mit im Raum gewartet hatte, von seinem Kollegen, steigt ein, die Türen schließen sich und es geht richtig los.

Relativ schnell gewinnt der Zug an Höhe und fährt durch Landschaften mit grünen Pflanzen. Hier scheint Obst angebaut zu werden, der Boden um einen Vulkan gilt ja in der Regel als besonders fruchtbar. Beim schnellen Vorbeifahren lassen sich die orange/gelben Früchte nicht genau identifizieren, aber wahrscheinlich sind es Orangen, die hier auch im Januar zu wachsen scheinen.

Es geht durch enge Kurven, Siedlungen und an ein paar Bahnhöfen vorbei. Einmal steigt ein älterer Mann zu, an einem anderen Bahnhof steigt die kleine Gruppe mit den drei Reisenden aus. Es scheint so, als wollen sie von hier aus wandern gehen. Stets im Blick dabei der Gipfel des Ätnas und im Vordergrund die mächtigen Flanken des Vulkans, auf denen Bäume und Pflanzen wachsen. Wenige hundert Meter weiter dann aber Gestein, schwarzer Boden. Es sind die Lavafelder der Ausbrüche der letzten etwa 100 Jahre, die man hier noch gut erahnen kann.

Die Besiedlung nimmt immer mehr ab, der Zug gewinnt an Höhe. Rechts kann ich in ein weitläufiges Tal blicken. Wunderbare Aussichten, dazu blauer Himmel. Diese Fahrt ist wirklich zum Genießen da. Wir sind dabei der einzige Zug auf der Strecke. Alle Signale sind ausgeschaltet. Offenbar ist derzeit ein dichterer Takt nicht möglich – oder umgekehrt: Man fährt ihn nicht und hat deshalb alle Signale ausgeschaltet. Immerhin gibt es einige automatische Bahnübergänge, bei denen die Schranken auch heruntergelassen sind. Somit scheint grundlegende Sicherungstechnik in Betrieb.

Nach einer guten Stunde Fahrt erreichen wir den Bahnhof Randazzo, wo die Linie gebrochen wird. Auch hier gibt es ein Depot und etwas umfangreichere Gleisanlagen. Ein paar wenige Mitarbeiter sind zu sehen, noch ist es aber ruhig, als wir einfahren. Das ändert sich wenige Minuten später, als der Zug aus Catania eintrifft. Hier sind zwei etwas modernere Triebwagen, die aber meinem ähneln, zusammengekuppelt. Auch sie sind gut mit Fahrgästen besetzt, darunter eine Gruppe junger Menschen, möglicherweise ein Schülerausflug.

Es herrscht nun Trubel am Bahnhof. Ich gehe etwas zur Seite und esse eine Kleinigkeit, die ich mir gestern noch im Supermarkt gekauft habe. Im Bahnhofsgebäude gibt es aber sogar eine kleine Bar, in der sich vor allem mutmaßlich Einheimische tummeln und rauchen. Ich überlege kurz, nach einem Espresso oder einer Cola zu fragen, aber verzichte dann darauf.

Auf den Gleisen werden nun alle drei Triebwagen, der doppelte aus Catania und der einfache aus Riposto, rangiert und ins Depot gefahren. Dann sind die Gleise wieder leer. Insgesamt habe ich hier eine knappe Stunde Aufenthalt, bis der nächste Zug nach Catania fährt. Ich schaue mich kurz vor der Station um. Abgesehen von den Menschen, die mit dem Zug angekommen sind und sich langsam in den Straßen verteilen, ist es hier ruhig. Einen Supermarkt oder ähnliches kann ich im unmittelbaren Umfeld nicht entdecken und entscheide mich, nun nicht weiterzugehen.

Einige Minuten vor Abfahrt wird erneut ein Triebwagen aus dem Depot an den Bahnsteig rangiert, es ist wieder einer der moderneren. Ich steige ein. Ich nehme direkt hinter dem hinteren Führerstand Platz, der Bereich ist etwas abgetrennt und so störe ich die anderen Fahrgäste nicht, wenn ich permanent am offenen Fenster hänge. Schließlich ist es auch nicht so warm.

Der Zug ist deutlich voller als der, mit dem ich gekommen bin, aber weit entfernt davon, dass alle Plätze belegt sind.

Weiter geht die Fahrt. Der neue Schaffner schaut auf mein Ticket und macht klassisch mit einer Lochzange einen Abdruck herein.

An der Landschaft ändert sich erstmal wenig. Die Perspektive, aus der ich auf den Ätna-Gipfel schaue, dagegen ständig. Schließlich umrunden wir ihn auch. Es wirkt so, als würde es tatsächlich aus dem Krater dampfen. Aber sicher bin ich mir nach wie vor nicht, ob es nicht doch einfach „normale“ Wolken sind, die dort hängen.

Lavafelder, Anbaugebiete und Siedlungen wechseln sich ab, dazu schöne Ausblicke, wenn man vom Vulkan weg in die Täler schaut. Anders als in Deutschland, wo die Vegetation zu dieser Jahreszeit grau oder braun ist, ist es hier schon recht grün. Das tut gut, diese Farben zu sehen.

Irgendwann verspüre ich dann aber doch eine gewisse Ermüdung. Die Eindrücke sind ähnlich, ich bin etwas gesättigt und allzu viel Schlaf habe ich in den letzten Nächten ja auch nicht bekommen. Ich bleibe also sitzen und stehe nicht mehr dauerhaft am Fenster, kämpfe teilweise sogar dagegen, dass mir die Augen zufallen.

Ab der Stadt Adrano ändert sich dann auch der Charakter der Strecke. Ab hier scheint es eine Einpendler-Strecke zu sein, der Fahrplan ist etwas dichter, aber immer noch sehr dünn. Die Stadt wird in einem Tunnel unterquert. Laut Wikipedia ist dies seit 2011 die neue Streckenführung. Die Stationen im Tunnel sind als typische Metro-Tunnelstationen konzipiert, mit Bahnsteigsperren, die aber völlig kaputt wirken und außer Betrieb sind, sowie mit Zugzielanzeigern, die natürlich auch nicht funktionieren. Auch das ist offenbar Sizilien: Dinge, die zwar recht neu, aber schon nach wenigen Jahren völlig vergammelt und kaputt sind. Auch die nächste Stadt, Biancavilla, wird in einem neuen Tunnel unterquert. Gleichzeitig hängen nun doch aus der aktuellen Perspektive Wolken vor dem Ätna und der Gipfel ist nicht mehr auszumachen. Ich habe auch keine große Energie mehr und döse etwas vor mich hin. Mein Eindruck ist aber, dass ich nicht viel verpasse und die schönsten Abschnitte gesehen habe.

Die Strecke wird dann auch immer urbaner, es steigen zunehmend Fahrgäste zu und, nach zwei Stunden Fahrt seit Randazzo, fährt der Zug in die Endstation Catania Borgo ein. Auch hier gibt es Depots und es sind relativ viele abgestellte Fahrzeuge zu sehen. Ältere Garnituren und, hinter einem Zaun, auch ein richtig moderner Zug. Diese modernen Garnituren sind derzeit aber nicht in Betrieb. Überhaupt wirkt diese ganze Bahn wie ein Schatten ihrer selbst. Alte Züge, verrottete Gleisanlagen, kaputte Bahnhöfe, Signale, die nicht in Betrieb sind und ein sehr dünner Fahrplan. Schade, hier wäre so viel mehr möglich, aber wer weiß, wo und wie hier in Sizilien das Geld versickert. Es gibt Gerüchte, dass auch dies eine Rolle beim Zustand der Bahn spielt. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, ist der Besuch ein Erlebnis, das ich jedem empfehlen würde.

Während mein Zug für die Rückfahrt bereit gemacht wird, geht es für mich in den Untergrund, zur Station der U-Bahn von Catania, übrigens auch von der Ferrovia Circumetnea betrieben. Auch im Untergrund sieht man den Stationen an, dass sie nicht ordentlich in Schuss gehalten werden, ihr Zustand ist aber weitaus besser als der der Schmalspurbahn. Auch die Bahnsteigsperren funktionieren hier. Statt ein Ticket zu kaufen, schiebe ich einfach meine Fahrkarte der Schmalspurbahn hinein, die mehrere Zonen abdeckt und auch einen Magnetstreifen hat. Möglicherweise, so denke ich, ist damit dann auch noch die Weiterfahrt innerhalb Catanias in dieser Zone inklusive. Ich kenne die Tarifbedingungen zwar nicht, aber die Sperre öffnet sich, also scheint es zu passen.

Die Bahnsteige der U-Bahn wirken völlig überdimensioniert, dafür, dass nur ein kurzer Zug kommt. Auch die U-Bahn fährt übrigens an Feiertagen nicht. Es ist gar nicht so lange her, da galt dies auch für den Sonntag. Mittlerweile scheint es aber einen Sonntagsbetrieb zu geben. Die Züge fahren alle 10 bis 15 Minuten. Der Zustand der Züge ist vergleichsweise sehr ordentlich. Vier Stationen sind es bis zum Halt am Hauptbahnhof von Catania.

Für einen Besuch der Innenstadt bleibt nun leider keine Zeit mehr übrig. Einige Minuten am Bahnhof, der schön direkt am Meer gelegen ist, bleibt aber noch. An der Bahnhofsbar hole ich mir noch eine gekühlte Cola und besorge mir dann zur Abwechslung das nächste Ticket nicht in der App, sondern am Automaten. Dabei buche ich auch schon die Fähre aufs Festland, die von der italienischen Bahn betrieben wird. Ich bekomme also zwei Tickets, eines für die Fährüberfahrt und eines für beide Bahn-Abschnitte, dies- und jenseits der Fährüberfahrt.

Irgendwann kommt dann der Zug, wieder ein Pop-Triebwagen, aus Richtung Siracusa eingefahren. Ich steige ein, der Zug ist gut gefüllt, ich bekomme aber noch einen Vierer-Sitz zur Meerseite. Dieser Regionalzug ist etwas beschleunigt und hält nicht überall. Die Haltmuster des Regionalverkehrs auf Sizilien wirken auf mich relativ unkoordiniert und man kann keine klaren Linien ausmachen. Wieder geht es entlang des Ätnas, aber weitestgehend hängen weiterhin Wolken vor dem Gipfel. Im Bahnhof Giarre-Riposto, wo ich heute früh ausgestiegen war, bleiben wir dann aber länger stehen und es geht nicht weiter. Die automatische Durchsage verkündet auch auf Englisch, dass die „line broken“ ist. Dazu gibt es automatisiert auch immer eine Angabe, wann man glaubt, weiterfahren zu können. Diese Angabe wird aber laufend nach oben korrigiert. Gleichzeitig fährt am Bahnsteig links nebenan schon der folgende Zug mit einem dichteren Haltemuster ein. Beim Gegenzug, auf den wir warten, wird dagegen die Anzeige der Verspätung am Gleis rechts neben uns immer weiter nach oben korrigiert. Nach 20 Minuten kommt der Nachtzug aus Mailand an. Aber dann warten wir weiter, auf den nächsten Regionalzug, dessen Verspätung sich auch immer weiter erhöht. Irgendwann tut sich etwas. Nach rund 40 Minuten Warten herrscht Unruhe im Zug. Die Schaffnerin geht durch und sagt uns, immerhin auch auf Englisch, dass wir in den Zug nebenan sollen, denn nur dieser werde weiterfahren.

Also schnell zusammenpacken, durch die Unterführung und in den älteren Minuetto-Triebwagen. Es dauert noch ein paar Minuten, aber dann geht es tatsächlich los, und die Fahrt verläuft normal, zieht sich dank der weiteren Zwischenhalte noch mehr. Noch einmal ein Blick auf die Buchten von Taormina, dann kommt irgendwann das Festland in Sicht. Meinen Fähranschluss kann ich vergessen mit der Verspätung. Gut, dass die nächste Fähre genau eine Stunde später fährt.

In Messina angekommen, habe ich nun etwas mehr Zeit. Ich nutze sie, um mir in der Bar der Station noch einen HotDog zu besorgen, oder das, was man hier so benennt. Es ist irgendein brötchenartiges Gebäck, in dem eine Wurst steckt. Natürlich ohne Sauce oder sonstigen Extras. Das fertige Ding wird nochmal in einer Art Toaster erwärmt und dann mir gegeben. Aber ich habe Hunger und bekomme nun so etwas zu essen. Immerhin. Die Verständigung funktioniert hier übrigens auch nur mit Händen und Füßen. Man darf nicht erwarten, dass hier jemand Englisch kann.

Ich schlendere weiter in Richtung Fähre. Wirkliche Infos, abgesehen von den Containern, an den man Tickets kaufen kann, wo das Schiff abfährt, gibt es hier nicht. Aber es gibt hier eine Art Wartehäuschen wie eine Bushaltestelle.

Es wird dunkel, die Lichter gehen an und es ist kühl und der Wind weht. Ich versuche, etwas hin- und herzulaufen, um warm zu bleiben. Kurz vor der planmäßigen Abfahrt kommt dann das Schiff in den Hafen gefahren, legt an und jede Menge Fahrgäste steigen aus. Es sind deutlich mehr als hier auf eine Überfahrt in Richtung Festland warten. Irgendwann wird dann auch bei uns eine Tür im Gitterzaun geöffnet und wir dürfen Richtung Fähre gehen. Meine Fahrkarte wird direkt am Einstieg kontrolliert, dann geht es in die Fähre, die mit ihren breiten Sitzreihen etwas an das Innere eines Flugzeugs erinnert. Es stinkt hier gewaltig nach Schweiß – unangenehm. Unter den Sitzen liegen Schwimmwesten. Das hier ist bei weitem nicht so schön wie die Überfahrt mit der Eisenbahnfähre an der frischen Luft. Die Polster sind außerdem so abgesessen, dass ich das Gefühl habe, unter meinem Po die Sitzfedern zu spüren.

Die Überfahrt selbst dauert dann aber nur kurz, durch die Fenster lassen sich die Lichter der vielen Häuser auf beiden Seiten der Straße von Messina erkennen. Immerhin etwas, das halbwegs schön ist.

Trotzdem bin ich froh, dann in Villa San Giovanni die Fähre verlassen zu können. Beim Blick zurück sieht es fast so aus, als hätte man hinten die Überfahrt doch auch an der frischen Luft verbringen können. Aber ob der Bereich wirklich zugänglich ist, weiß ich nicht.

Ich muss mich sputen, laufe durch die Bahnhofsunterführung zu Gleis 1, wo bereits der Minuetto bereitsteht, der wenig später dann auch in Richtung Reggio di Calabria abfährt. Gerne hätte ich mich hier einmal genauer umgeschaut, an dem Bahnhof, von wo aus ich immer mit dem Zug verschifft werde.

Der Zug hält wie eine Art S-Bahn alle paar Minuten, bis nach etwa 25 Minuten Fahrt der unterirdische Bahnhof „Lido“ von Reggio di Calabria erreicht ist, der direkt unter der Strandpromenade liegt. Ich steige bereits hier aus, eine Station vor dem Hauptbahnhof, da sich hier meine Unterkunft befindet. Die ist ein modernes BnB in einer der oberen Etagen eines unscheinbaren Hauses. Eine junge Frau meines Alters hatte vorher extra gefragt, wann ich ankomme, und ich konnte die Ankunftszeit dank des Chats des Buchungsportal unkompliziert nach hinten korrigieren. Sie empfängt mich am Eingang des Hauses und bringt mich nach oben. Nachdem sie mich eingecheckt hat, verschwindet sie auch schon wieder. Ich habe den Eindruck, heute, völlig außerhalb der Saison, der einzige Gast hier zu sein. Für das Frühstück gibt es einen Gutschein für zwei Cafés im Umkreis. Beide werden aber morgen erst nach meiner Abreise öffnen.

Es ist 19 Uhr und ich mache mich auf den Weg in die Stadt, um zumindest noch etwas von Reggio di Calabria zu sehen. Es geht durch eine lange Fußgängerzone, die an diesem Abend gut gefüllt ist. Hier ist es auch wieder vergleichsweise mild und man hat das Gefühl, einen Frühlingsabend zu erleben. Dieser Eindruck wird nur von der Weihnachtsbeleuchtung „gestört“, die auch hier noch allgegenwärtig ist. Viele Menschen sind unterwegs, man trifft sich offenbar hier an diesem Samstagabend. Es scheinen aber wirklich größtenteils Einheimische zu sein.

Die Fußgängerzone endet unweit des Bahnhofs, von dem aus ich morgen relativ früh abfahren werde. Ich schaue mich etwas um, es ist mittlerweile 19.30 Uhr, und bahntechnisch klappt man hier bereits die Bürgersteige hoch. Es stehen zwar noch einige Züge als ankommend auf dem Fahrplan. Abfahren wird aber nun nur noch der Nachtzug nach Turin gegen 21.45 Uhr und ein Frecciarossa gegen 22.20 Uhr, der morgen früh Mailand erreicht. Dieser verkehrt laut Fahrplan nur an wenigen Tagen im Jahr, u.a. heute, möglicherweise passend zum Ende der Weihnachtsferien. Jedenfalls stelle ich so erstmals fest, dass es das Konzept „Nacht-ICE“ offenbar als „Nacht-Frecciarossa“ nun auch nach Italien geschafft hat. Ob auch hier die ganze Nacht wie in Deutschland das Licht auf vollständiger Beleuchtung im Großraum an bleibt? Das werde ich heute nicht erfahren, denn ich kann ja hier in Reggio di Calabria in einem echten Bett schlafen.

In einem Fast-Food-Restaurant in der Nähe des Bahnhofs esse ich nun noch etwas zu Abend und kaufe in einem Supermarkt in der Umgebung Proviant für morgen ein. Ich muss davon ausgehen, dass ich morgen erst abends wieder richtig etwas zu essen bekomme und muss irgendwie über den Tag kommen. Das mit der Verpflegung auf dieser Tour ist in der Tat relativ schwierig, was nicht zuletzt daran liegt, dass es in Italien in den Fernverkehrszügen keine ordentlichen Speisewagen gibt, in den IC maximal einen Automaten oder gar nichts.

Zurück zur Unterkunft nehme ich nun nicht die Fußgängerzone, sondern die Promenade entlang des Meeres. Nur wenige Menschen sind hier unterwegs, ich genieße die Geräusche der Brandung und den Blick rüber nach Sizilien und die vielen Lichter. Klar, mit dem gestrigen Abend kann das nicht mithalten, aber es ist schon auch sehr schön. Aus dieser Perspektive hier ist die Straße von Messina kaum zu erahnen, es sieht beinahe so aus, als würden Sizilien und Festland verbunden sein.

Es ist gerade einmal kurz nach 21, da liege ich schon im Bett. Der Wecker wird wieder (zu) früh klingeln.

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