Nachdem der Wecker nun mehrere Tage hintereinander sehr früh am Morgen klingeln musste, kann ich es heute relativ entspannt angehen lassen. Mein Zug fährt erst um 9.30 Uhr. Nach zwei Abreisen ohne, kann ich heute sogar richtig frühstücken. Der Raum dafür ist eine Etage über meinem Zimmer. Wahrscheinlich war das ursprünglich eine Wohnung, die mit weiteren Gästezimmern und eben einem kleinen Essraum ausgestattet ist. Eine mittelalte Frau versorgt mich mit einem weiteren köstlichen Espresso, ansonsten ähnelt mein Frühstück dem von vor ein paar Tagen in Siracusa: Ich produziere wieder viel Plastikmüll, um die eingeschweißten Zwieback-Stücke auszupacken, sie mit Marmelade zu bestreichen und somit zumindest etwas satt zu werden.
Am Bahnhof angekommen, steht mein Zug schon mit Gleis auf der Anzeigetafel angeschlagen, noch blockiert aber ein Regionalzug das Gleis.
Der Bahnsteig füllt sich aber bereits mit Menschen. Ein Mann, vielleicht Mitte 30, mit einem älteren Herrn und einem Kind, vermutlich seinem Sohn, quatscht mich auf Italienisch an. Ich sage „sorry?“ und er wechselt auf Englisch und fragt, wo man sehen könnte, wo welcher Wagen hält. Ich deute auf die Monitore an der Bahnsteigüberdachung und erkläre, dass dort der jeweilige Wagen kurz vor der Ankunft des Zuges angezeigt wird.
Er dankt auf Englisch und dreht sich wieder seinem Sohn und dem älteren Herrn zu und übersetzt ihnen meine Antwort ins perfekte Hochdeutsch. Ich muss grinsen, möchte aber nicht in deren Gespräch hineinplatzen und auflösen, dass ich die Antwort auch gleich hätte auf Deutsch geben können. Ich höre noch etwas mit und schließe daraus, dass er und der Sohn in Deutschland wohnen, er sogar Deutscher ist und der ältere Herr der Schwiegervater, der hier lebt und Italiener ist, aber auch ganz passabel Deutsch spricht.
Kurze Zeit später, wenige Minuten vor Ankunft, wird der Frecciarossa dann tatsächlich angesagt und die Wagennummern werden eingeblendet. Der Zug kommt aus Lecce und wird am späten Nachmittag Mailand erreichen. Ich habe einen Platz in der Business-Class gebucht, vergleichbar mit der deutschen 1. Klasse.
Das heute wird ein Tag mit den Hochgeschwindigkeitszügen, auf die Italien so stolz ist und auf die sie in Sachen Eisenbahn alles setzen und dagegen den Rest, so scheint es, manchmal etwas vernachlässigen. Ich bin schon länger nicht mehr mitgefahren und möchte mal wieder die Fahrzeuge und den Service erleben.
Der Frecciarossa, der rote Pfeil, ist dabei die höchste Zuggattung. Zum Einsatz kommen dabei zwei verschiedene Fahrzeuge: Ein modernerer Triebwagen und dann Wagenzüge mit Loks vorne und hinten, ähnlich dem deutschen ICE 1. Letztere Züge sind mit elf Wagen die deutlich längeren und mit so einem war ich einmal 2015 gefahren und dann nie wieder – bis heute.
Die Business-Klasse ist, wie in der 1. Klasse üblich, 1 + 2 bestuhlt, wobei die Viergruppen mit etwas Glas abteilartig leicht voneinander abgetrennt sind. Ich sitze an einem Tisch in der Einer-Bestuhlung. Der Sitz ist bequem und der gegenüber bleibt zunächst auch noch frei. Man merkt dem Zug an, dass er schon etwas älter ist, es ist aber alles sauber. Den Sitz kann man elektrisch durch Tasten neigen. Auch schön: Die Sitzaufteilung passt zu den Fenstern, wobei der Sitzabstand relativ gering ist. Irgendwo las ich, dieser sei genauso klein wie in der 2. Klasse. Nicht zuletzt gibt es keinen Teppichboden, was das „wohnliche“ Gefühl in Vergleich zum ICE etwas schmälert. Trotz alledem muss sich der Zug nicht verstecken, ich finde ihn durchaus bequem und es fühlt sich angenehm an, hier zu sitzen. Hypen, wie es manche tun, muss man den Frecciarossa aber auch nicht. Der ICE kann hier auf jeden Fall mithalten, ich würde ihn sogar als noch etwas hochwertiger in der Wirkung des Interieurs beschreiben.
Wenige Minuten nach der Abfahrt kommt eine Frau mit einer Art Minibar vorbei und fragt alle neueingestiegenen Fahrgäste, ob sie einen Wunsch in Sachen Getränke und Snacks haben. Ein solcher Willkommens-Drink und Snack ist in der Business-Class inklusive.
Die Fahrkartenkontrolle läuft auch etwas anders ab als in Deutschland. Der Schaffner schaut kurz auf die Fahrkarte auf meinem Handy, die neben einem Aztec-Code (ähnlich QR-Code) auch eine Buchstabenfolge enthält. Diese reicht dem Schaffner, und er kann mich auf seinem Tablett offenbar abhaken. Er scheint dort zu sehen, welcher Platz wie gebucht ist und mit welchem Ticket-Code. Bei allen weiteren Fahrkartenkontrollen geht er zielgerichtet auf die neu zugestiegenen Fahrgäste zu und schaut dabei auf sein Tablet, wo er offenbar sehen kann, wer neu ist.
Heute habe ich mit meinem reservierten Platz etwas Pech. Ich sitze zwar immerhin in Fahrtrichtung, aber nicht auf der Meer-Seite. Dazu kommt, dass das Wetter draußen eher bedeckt und teilweise auch regnerisch ist. Obwohl wir die meiste Zeit entlang der Küste fahren, wirkt das hier alles nicht so beeindruckend wie ich es von anderen Küstenstrecken Italiens kenne. Die Landschaft ist meist flach und beim Blick ins Inland, also auf meiner Seite, entdecke ich wenig Spannendes. Das graue Wetter trägt seinen Teil dazu bei. Ab und zu sehe ich das Meer durch das Fenster nebenan. Es scheint mir aber so, als sei die Landschaft dort auch nicht so aufregend. Nicht selten fährt der Zug zwar sehr nah der Küste, aber eben nicht direkt und es sind noch ein paar Sträucher, Bäume, eine Straße oder ähnliches dazwischen, sodass das Meer gar nicht richtig zu sehen ist.
Trotzdem genieße ich nach den vielen Tagen mit neuen Eindrücken die Fahrt. Der Sitz ist bequem, der fahrende Zug wirkt entspannend auf mich und ich kann einfach mal etwas von Eindrücken abschalten.
Etwa alle 30 bis 60 Minuten halten wir in einer der größeren Städte auf dem Weg. Foggia, Pescara, Ancona. Ich fahre hier zwar im Hochgeschwindigkeitszug, aber jenseits der italienischen Hochgeschwindigkeitsstrecken. Der Zug wird seine Höchstgeschwindigkeit nur später zwischen Bologna und Mailand ausfahren, dann geht es nämlich tatsächlich über eine Schnellfahrstrecke. Für mich bringt die Fahrt also in erster Linie das Erlebnis des hohen Komforts, nicht das der Geschwindigkeit.
Nach und nach füllt sich an den verschiedenen Bahnhöfen der Wagen. Irgendwann sitzt dann auch eine Frau auf dem Platz mir gegenüber. Sie beachtet mich aber nicht weiter.
Gegen Mittag treiben mich der Hunger und die Neugierde dann in den Speisewagen, denn dieser Zug hat, daran merkt man vermutlich auch das Alter, fast einen ganzen Wagen für das gastronomische Angebot. In den modernen Frecciarossas gibt es lediglich einen kleinen Bistro-Bereich.
Einen Sitzbereich gibt es nicht, dafür einen recht großzügigen Stehbereich. Ich bin der einzige Fahrgast im Wagen. An der Theke sind ein paar Gerichte ausgestellt, verpackt in Plastik oder Pappe – so wie man sich die Dinger wohl auch im Supermarkt kaufen kann. Eine ordentliche Speisekarte scheint es nicht zu geben. Es ist einfach ein Desaster, wie sich die sprichwörtliche gute italienische Küche und Gastfreundschaft mit guter Bedienung im Restaurant hier präsentiert.
Ich bestelle ein Nudelgericht, das in der Vitrine ausgestellt ist, und bei dem ich durch das Vitrinenglas auf der Packung die Zutaten lesen und so herausfinden kann, dass ich es vertrage. Die Verständigung mit der Mitarbeiterin hinter der Theke läuft wieder mit Händen und Füßen. Englisch scheint sie nicht wirklich zu sprechen. Das war bei den Schaffnern und dem Herrn, der mir mit der Minibar vorbeikam, anders. Hier scheint die italienische Bahn in ihrem Premiumprodukt dann doch darauf zu achten, dass ein ordentliches Englisch gesprochen wird.
Nachdem das Nudelgericht in der Mikrowelle aufgewärmt ist, wird es von der Mitarbeiterin immerhin auf einem Teller serviert und nicht in der Plastikpackung. Es ist ein Pappteller. Dazu gibt es Holz-Besteck. Immerhin ist das alles umweltfreundlicher, als hier auch noch Plastik zu benutzen, aber es wirkt alles wirklich billig und lieblos. Obwohl das hier alles fast schon darauf ausgelegt ist, an den Platz mitgenommen zu werden, esse ich vor Ort im Speisewagen. Schon aus Prinzip, wenn es den Wagen schon gibt – auch wenn ich damit als Einzelperson kein Zeichen setzen kann, auch wenn ich das gerne würde.
Außerdem tut es gut, mal etwas zu stehen, und so stelle ich mich an die Meer-Seite. Spannende Ausblicke gibt es aber nicht wirklich. Da ist zwar Wasser, aber es ist alles grau. Also verpasse ich heute wohl tatsächlich nichts, wenn ich auf der „falschen“ Seite sitze. Immerhin kann ich aber nach dem heutigen Tag behaupten, einen Großteil italienische Küstenlinie abgefahren zu sein, von Ventimiglia, an der Grenze zu Italien, über die Straße von Messina hoch bis Rimini. Es fehlen lediglich einige Ausbuchtungen, die von den (Haupt-)Bahnstrecken abgekürzt werden und der Absatz, in dem Lecce liegt. Wobei dieser auch kaum Bahnstrecken entlang der Küste hat. Dies gilt auch für den Abschnitt zwischen Rimini bis kurz vor Trieste, also den Golf von Venedig. Auch hier gibt es nur noch wenige Möglichkeiten, abschnittsweise mit dem Zug entlang der Küste zu fahren.
Von Rimini war jetzt schon zweimal die Rede. Es ist der Bahnhof, nachdem die Hauptstrecke ins Inland in Richtung Bologna schwenkt und dann, ab einem Bahnhof etwa 30 Kilometer hinter Rimini, Cesena, schnurrgerade die etwa 80 Kilometer bis Bologna führt.
Nach fast 6 Stunden Fahrt verlasse ich hier den Zug und freue mich, wieder von der Sonne begrüßt zu werden. Das schlechte Wetter haben wir weiter im Süden gelassen.
In Bologna habe ich knappe zwei Stunden Aufenthalt eingeplant. Das hat zwei Gründe: Erstens wollte ich auch nochmal einen anderen Hochgeschwindigkeitszug nutzen und zweites verbinde ich etwas Besonderes mit Bologna.
Als ich nämlich 2015 das allererste Mal auf einer Interrail-Tour in Italien war, verbrachte ich hier einen lauen Sommerabend und saß auf dem Hauptplatz. Spät abends ging mein Nachtzug und ich musste Zeit überbrücken und genoss es, atmete erstmalig das abendliche Flair einer italienischen Stadt ein. Irgendwie ist mir seitdem Bologna etwas ans Herz gewachsen.
Ich nehme die Beine in die Hand, verlasse den Bahnhof und gehe den nicht gerade kurzen Weg in die Innenstadt. Auf dem Weg kommt man aber bereits an so vielen schönen Gebäuden vorbei. Die Straße hat Kopfsteinpflaster und leider fahren heute Nachmittag hier Autos. Am Wochenende wird diese Straße teilweise zur Fußgängerzone, so hatte ich es damals auch erlebt und das Schlendern macht noch mehr Freude.
Irgendwann bin ich dann wieder da, am Piazza Maggiore von Bologna. Diese Gebäude, die Basilika San Petronio, über der damals der Mond aufging, und natürlich, wie könnte es anders sein, auch hier noch ein Weihnachtsbaum.
Allzu viel Zeit bleibt mir hier heute nicht. Es ist auch ziemlich kühl, nach mehreren Tagen im gefühlten Frühling von Süditalien, wieder im realen Winter Norditaliens angekommen zu sein. Ich gehe daher zurück in Richtung Bahnhof.
Oberirdisch sehe ich den gerade eingefahrenen Eurocity aus München. Der Zug mit dem fehlenden Speisewagen. Vor einigen Jahren bin ich mal mit dem Zug ab Bologna bis München gefahren, erinnere ich mich. Eine schöne Erinnerung, damals Gott sei Dank noch mit einer vernünftigen Verpflegungsmöglichkeit.
Für mich geht es nun in den Untergrund. Unter dem eigentlichen Bahnhof ist vor einigen Jahren ein zusätzlicher Bahnhof für die Hochgeschwindigkeitszüge entstanden. Wer aus Richtung Florenz kommt, fährt schon weit vor den Toren Bolognas in den Tunnel und kommt in diesem unterirdischen Bahnhof heraus. Nach Norden hin geht es von hier direkt auf die Schnellfahrstrecke nach Mailand, die aber schon kurz hinter dem Bahnhof überirdisch verläuft.
Über mehrere Ebenen geht es nach unten in eine Art „Betonpalast“. Auf der Verteilerebene für die beiden Bahnsteige gehe ich noch schnell auf die Toilette. Die ist hier, anders als die Toilette oben im Bahnhof, kostenlos. Muss man nicht verstehen, kann man sich aber mal merken. Lieber nicht erinnern möchte ich mich an den Zustand der Toilette. Man merkt zwar, dass das alles hier recht neu ist, die Toiletten und Armaturen wirken modern, aber dreckig, kaputt (zum Teil abgebrochen) und es fehlt auch an Seife. Leider habe ich wenig Vertrauen, dass es bei den kostenpflichtigen Toiletten oben viel besser ausschaut. Auch da habe ich bisher in Italien (auch an Bahnhöfen wie Rom oder Mailand) sehr schlechte Erfahrungen gemacht, obwohl ich einen Euro bezahlt habe. Auch hier verstehe ich wieder einmal die Prioritäten der Italiener, auch derer im Norden nicht: Man wirbt mit modernsten und sauberen Hochgeschwindigkeitszügen, baut neue moderne Bahnhöfe und lässt dann alles – bis auf die Starzüge – sehr schnell verkommen und pflegt es nicht. Nachhaltig ist das auch nicht…
Für die weitere Fahrt bis Turin habe ich mir die private Konkurrenz der italienischen Staatsbahn ausgesucht: Den Italo. Italien ist eines der wenigen Länder, in denen es eine halbwegs funktionierende Konkurrenz im Hochgeschwindigkeitsverkehr gibt. Warum dies hier funktioniert und in Deutschland nicht: Es gibt ein weitläufiges Hochgeschwindigkeitsnetz, das weitestgehend auch verbunden ist, ohne viele Altstrecken nutzen zu müssen, auf denen der sich Hochgeschwindigkeitsverkehr, Nachverkehr und Güterverkehr gegenseitig behindern. Hier ist also mehr Verkehr möglich, ohne dass das Netz völlig überlastet zu sein scheint. Außerdem haben die Investoren des neuen privaten Unternehmens richtig Geld in die Hand genommen, um moderne Hochgeschwindigkeitszüge zu kaufen. Ein Schritt, den beispielsweise Flixtrain in Deutschland nicht gegangen ist und mit modernisiertem Altmaterial durch die Gegend fährt, mit dem man nicht auf allen Schnellfahrstrecken unterwegs sein kann.
Ich bin eigentlich eher ein Fan von Verkehr, der nicht in Konkurrenz gedacht wird, sondern in Taktfahrplänen aus Sicht eines bestmöglichen Angebots. Ein anderer, meiner Meinung nach besserer Ansatz. Trotzdem finde ich das italienische Modell interessant und zolle ihm Respekt, schließlich wäre die Staatsbahn mit ihrer Reservierungspflicht ohne Konkurrenz im Fernverkehr wohl auch weit entfernt von dem Modell, das ich begrüßen würde.
Im italo-Verkehr fahren mittlerweile zwei verschiedene Zugtyen: Der EVO, der 250 km/h erreicht und der AGV mit 300 km/h. Ich fahre heute mit Letzterem.
Bei italo gibt es drei Klassen: Smart (2. Klasse), Prima (1. Klasse) und Club. Da ich einen vergleichsweise günstigen Sparpreis bekommen konnte, probiere ich hier mal die höchste Klasse aus. Die Club-Klasse ist im 1. Wagen angesiedelt und besteht aus zwei Abteilen und einem kleinen Großraumbereich mit 1+2 Bestuhlung. Die Sitze sind breit und bequem. Als ich einsteige, sind beinahe alle anderen Plätze belegt, ich habe aber einen Einzelsitz, den ich mir bei der Reservierung auch grafisch aussuchen konnte. Er hat einen guten Blick durchs Fenster, was man hier leider nicht über jeden Platz sagen kann. Auf die Fensteraufteilung hat man bei der Bestuhlung keinen Wert gelegt.
Auch hier kommt kurz nach der Abfahrt ein Mitarbeiter mit Trolley vorbei und fragt mich nach meinem Getränke- und Snackwunsch. Er spricht perfekt Englisch, ist sehr freundlich und schaut vorher noch kurz auf meine Fahrkarte. Dann rezitiert er mir das Angebot. Ich entscheide mich für ein italienisches Bier und Chips.
Draußen beschleunigt der Zug ordentlich und taucht aus dem Tunnel auf. Ich blicke in den Sonnenuntergang. Viel Tageslicht ist nicht mehr auszumachen, dafür ein wunderbar orangener Himmel und in der Ferne die Apenninen. Die Schnellfahrstrecke verläuft dabei lange entlang der Autobahn und mit unseren 300 km/h ziehen wir mühelos an allen Fahrzeugen vorbei.
Es ist eine schöne Stimmung. Schade, dass es jetzt schon dunkel wird und ich nicht mehr sehen kann. Mein Zug hält am einzigen Bahnhof auf der Schnellfahrstrecke: Reggio Emilia etwas außerhalb der Stadt. Quasi eine Art Limburg Süd, wobei man hier immerhin auch in einen Zug zum Hauptbahnhof umsteigen kann.
Weiter rasen wir durch die Dunkelheit. Nach einer guten Stunde rollen wir dann in den Bahnhof Milano Centrale ein. Hier leert sich der Zug spürbar. In die Club-Klasse steigen auch keine weiteren Fahrgäste ein. Ich strecke an der Tür kurz die Nase nach draußen. Nach ein paar Minuten geht es dann in entgegengesetzter Richtung wieder aus dem Kopfbahnhof hinaus und auf die Schnellfahrstrecke in Richtung Turin. Für mich Neuland: Weder bin ich hier schon einmal gefahren, noch war ich bereits in Turin. Ärgerlich, dass ich von der Strecke nichts sehe und hier also mindestens noch einmal wiederkommen muss, aber so ist das nun einmal mit den kurzen Tagen zu dieser Jahreszeit.
Die Fahrt bis Turin dauert nochmal etwa eine Stunde und ich teste eine nette Spielerei in der Club-Klasse aus. Aus der Armlehne lässt sich ein Bildschirm hervorklappen, auf dem man theoretisch Infos zu Reise bekommen, Videospiele spielen oder Filme gucken kann. Ich tippe ein bisschen umher. Der Touchscreen funktioniert nicht ganz ordentlich oder die Software ist „schwergängig“. Ich gebe also schnell auf und schwenke den Bildschirm zurück in die Armlehnen.
Diese Art von Entertainment über Bildschirme in Zügen scheint sowieso in Zeiten von Smartphones, Tablets und WLAN nicht mehr sonderlich relevant zu sein. Tagsüber würde ich sowieso immer den Blick aus dem Fenster vorziehen.
Irgendwann erreicht der Zug dann den unterirdischen Bahnhof Torino Porta Susa. Er lässt es zu, dass direkte Züge von Mailand in Richtung Paris hier halten und nicht am Hauptbahnhof Torino Porta Susa Kopf machen müssen. Aber auch die in Torino Porta Susa endenden/beginnenden Züge halten in der Regel hier. Für mich geht es aber bis zum Hauptbahnhof, und dann habe ich mein heutiges Tagesziel erreicht.
Der Bahnhof ist groß, besitzt viele Gleise, aber auch hier scheint abends gegen 19.30 Uhr bereits nicht mehr viel los zu sein. Ein paar Regionalzüge noch, drei Nachtzüge, aber es sind nicht mehr viele Menschen am Bahnhof unterwegs.
Ich begutachte kurz einen der bereitstehenden Nachtzüge – er wird morgen früh in Salerno sein. Auch hier sind nur wenige Passagiere zu sehen. Die meisten steigen vielleicht erst auf späteren Bahnhöfen zu. Dann checke ich in mein Hotel ein, das sich in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof befindet. An der Rezeption spricht man wieder sehr gutes Englisch. Es macht wirklich einen Unterschied, ob man in Süd- oder Norditalien ist.
Ich lasse wieder meine Sachen im Hotel und begebe mich auf einen Spaziergang durch die weitestgehend menschenleere Stadt. Das mag auch damit zusammenhängen, dass es ein kalter Montagabend im Winter ist, aber wenn ich schon hier das erste Mal in Turin bin, möchte ich zumindest etwas gesehen haben. Es ist aber wirklich unangenehm kalt und ich wünsche mir so sehr den süditalienischen Frühling zurück.
Als erstes bei meinem Spaziergang beeindruckt mich das Bahnhofsgebäude. Welch ein Palast! Und mit der besonderen Beleuchtung wirkt es wahrscheinlich sogar schöner als bei Tageslicht.
Weiter laufe ich einfach der Nase nach in die Innenstadt und treffe auf weitere wunderschön beleuchtete Gebäude und fast menschenleere Plätze.
Ich suche mir meinen Weg so, dass ich irgendwann abbiege und in Richtung des Bahnhofs Torino Porta Susa gehe. Schließlich möchte ich mir einmal anschauen, wo ich morgen abfahre.
Der Bahnhof besitzt eine Art gläserne Kuppel, unter der sich die Bahnhofshalle, wenn man es so bezeichnen möchte, befindet. Eigentlich ganz nett. Ein paar Geschäfte und die üblichen Einrichtungen wie Ticketschalter finden sich hier. Jetzt, kurz nach 21 Uhr, ist fast alles geschlossen.
Ich schaue noch kurz auf die Bahnsteige. Ein Frecciarossa aus Paris fährt weiter nach Mailand. Morgen werde ich in die andere Richtung fahren, aber mit dem TGV. Dann geht es in die U-Bahn, die mich wieder zurück nach Torino Porta Susa bringt. Ich schaue mir dabei quasi schon einmal meinen morgigen Weg zum Bahnhof an, damit es morgen schnell geht und ich weiß, wie früh ich aufstehen muss. Es wird wieder sehr früh sein. So viel steht fest.
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