Der Wecker klingelt bereits um kurz vor 6 und reißt mich aus dem Tiefschlaf. Trotzdem hat es gut getan, mal wieder richtig für einige Stunden zu schlafen, bevor die kommende Nacht wieder eine im Nachtzug wird. Ich packe zusammen und laufe wieder zur Tram. Am Bahnhof angekommen, kaufe ich mir im Supermarkt wieder etwas Proviant ein, mit dem ich gleich im Zug frühstücken kann. Dazu gibt es beim Bäcker in der Bahnhofshalle einen Espresso.
Mein Zug steht schon am Bahnsteig bereit – noch ohne Lok. Es ist der morgendliche Eurocity nach Villach und Graz. Jahrelang ist hier morgens ein stattlicher Zug mit sechs ÖBB-Wagen nach Wien (inklusive eines Speisewagens) und drei ÖBB-Wagen nach Villach gestartet, die dort an den EC nach Frankfurt angehängt wurden. Seit letztem Herbst ist das leider Geschichte. Wegen der fast täglich großen Verspätungen aus Kroatien und Slowenien haben die ÖBB die Notbremse gezogen. Seither gibt es keine durchgängigen Wagen mehr nach Frankfurt oder Wien, es geht nur noch nach Villach (wo man, wenn die Verspätung ausnahmsweise mal nicht so groß ist, den Anschluss nach Frankfurt erreichen kann) oder nach Graz (Umstieg nach Wien).
Jetzt am Bahnsteig steht damit nur noch ein kurzer Zug, bestehend aus fünf kroatischen und slowenischen Wagen, von denen die vorderen drei bis Villach fahren und die hinteren beiden nach Graz. Einen Speisewagen (wenn man es genau nimmt, eigentlich Grundvoraussetzung, dass sich ein Zug Eurocity nennen darf) gibt es nicht mehr.
Ich habe mich für eine Fahrt mit dem Zugteil in Richtung Graz bis Maribor entschieden. Das ist zwar alles andere als der direkte Weg nach Koper (dann müsste ich den anderen Zugteil in Richtung Villach direkt nach Ljubljana fahren), aber der Tag hat ja ein paar Stunden und ich möchte später noch einen ganz besonderen Zug fahren.
Der Zugteil Richtung Graz besteht aus einem klimatisierten Abteilwagen der kroatischen Bahn und einem älteren Wagen der slowenischen Bahn ganz hinten mit Fenstern, die man öffnen kann. Damit ist natürlich klar, wo ich einsteige.
Ein Großteil der Fahrgäste steigt in die Wagen nach Villach ein, es ist die deutlich besser nachgefragte Verbindung. In den nur drei Wagen wird es gerade im Sommer spätestens ab Ljubljana sehr kuschelig. Ich dagegen habe mein Abteil allein. Pünktlich fahren wir los. Bis zum Grenzbahnhof Dobova (liegt bereits in Slowenien) sind es gerade einmal 30 Kilometer. Die Strecke dorthin wurde in den letzten Jahren modernisiert (auch ein Grund für die vielen Verspätungen) und sieht nun sehr gut aus. Meist fährt der Zug auch sehr schnell, aber immer noch bremst er für einige Langsamfahrstellen ab. Warum es diese noch gibt, ist mir unklar. Trotzdem erreichen wir überpünktlich Dobova – denke ich zumindest im ersten Moment.
Als ich mir die Fahrpläne genauer anschaue, stelle ich fest, dass der vordere Zugteil eine deutlich frühere Ankunftszeit in Dobova im Fahrplan stehen hat als mein hinterer Zugteil. Das ergibt natürlich überhaupt keinen Sinn, da beide Zugteile bis Dobova planmäßig zusammenfahren. So sind wir laut Fahrplan des vorderen Zugteils 10 Minuten zu spät in Dobova angekommen. Da es auch hier das komplizierte Prozedere des Lokwechsels gibt (Lok muss abgezogen werden, zurück ins eigene Stromsystem geschubst werden, erst dann kann die Lok zur Weiterfahrt ankuppeln), lässt sich diese Verspätung auch nicht mehr aufholen, es dauert sogar noch etwas länger – und mit 15 Minuten Verspätung setzen sich die Wagen in Bewegung (also etwa zur planmäßigen Ankunftszeit der beiden hinteren Wagen). Kein Wunder, dass das mit der durchgehenden Verbindung nach Frankfurt nicht funktioniert hat. Vielleicht müsste man zunächst einmal die Langsamfahrstellen beseitigen.
Nun kommt eine zweite slowenische Lok an und setzt sich vor die beiden Wagen nach Graz. Dank des deutlich großzügigeren Fahrplans fahren wir pünktlich ab.
Nach wenigen Kilometern erreichen wir die Save, diesen Fluss, der die Hauptstädte Zagreb und Ljubljana verbindet. Erst ist die Landschaft noch nicht so bergig. Ich genieße den Blick aus dem Fenster und die Luft. Zwischendurch frühstücke ich ein bisschen was im Abteil.
Ich liebe diese Fahrt in diesen alten slowenischen Abteilwagen. Das löst immer irgendwelche Glücksgefühle in mir aus, auch wenn ich weiß, dass dieses Vergnügen endlich ist, denn objektiv betrachtet ist dieses Zugmaterial natürlich nicht mehr zeitgemäß. Ich hoffe trotzdem, dass ich es noch mehrere Sommer erleben kann.
Nach einer guten halben Stunde Fahrt erreicht der Zug einen besonderen Ort, Zidani Most. Dieser kleine Bahnhof mitten im Nirgendwo ist ein wichtiger Knotenpunkt. In einem Gleisdreieck treffen die Strecken aus Zagreb, Ljubljana und Graz zusammen. Zum ersten Mal fahre ich dabei auf dem Schenkel von Zagreb nach Graz, der den eigentlichen Bahnhof von Zidani Most umgeht. Sehen kann man ihn aber aus dem Zug.
Wir müssen noch einen IC auf dem Weg von Ljubljana nach Maribor vorlassen, dann dürfen wir die Strecke befahren. Es geht nun entlang der Savinja mit Halt in Laško (die Biermarke dürfte dem einen oder anderen bekannt sein) bis Celje und dann noch weiter bis Maribor, wo wir um kurz nach 10 pünktlich (!) ankommen. Es ist die Strecke, die ich gestern Nacht gefahren bin, kommende Nacht fahren werde – und gleich auch nochmal. Also ganze vier Male auf dieser Tour. Aber es ist das allererste Mal, dass ich hier tagsüber am offenen Fenster diese wunderbare Landschaft erleben darf.
Fahrt über die Drau kurz vor dem Bahnhof Maribor
Ein bisschen traurig sieht dieser Zwei-Wagen-Zug schon aus, wenn man weiß, dass das mal ein stattlicher Eurocity mit Speisewagen war. In Sachen Pünktlichkeit läuft heute auch alles und der Fahrplan dieses Zuges ist eben großzügiger. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass der direkte Zug nach Wien doch irgendwann zurückkommt.
Anderthalb Stunden Aufenthalt habe ich nun in Maribor, die ich zu einem Spaziergang in die nette Innenstadt nutze. Außerdem – es wird schon wieder sehr warm – darf ein Eis nicht fehlen.
Abendlicher Blick auf Maribor von einer Brücke über die Drau (Bilder sind nicht am Tag der beschriebenen Reise entstanden)
Rechtzeitig bin ich am Bahnhof zurück, um den Eurocity „Emona“ zu erwarten, der mich bis nach Ljubljana bringt. Wegen dieses Zuges bin ich extra den Umweg über Maribor gefahren. Der „Emona“ fährt jeden Tag von Wien nach Ljubljana und wieder zurück und führt den einzigen slowenischen Speisewagen, der in regulären Zügen unterwegs ist. Dieser Speisewagen ist unter Eisenbahnfreunden legendär, denn er wird als Familienbetrieb bewirtschaftet. Herr Popović aus Maribor betreibt nicht nur die dortige Bahnhofsbar, sondern eben auch den Speisewagen, zusammen mit seinem Sohn und einer jungen Frau, bei der ich nicht weiß, ob sie Tochter von Herr Popović ist, die Frau des Sohnes oder in einem anderen Verhältnis zur Familie steht. Immer in Maribor ist Personalwechsel. Einer der drei fährt von Maribor über Ljubljana tagsüber wieder zurück nach Maribor, der/die andere dann die Tour Maribor – Wien mit Übernachtung in Maribor. Als ich vor ein paar Wochen das letzte Mal mit dem Emona gefahren bin, hat mich die junge Frau bedient, sie sehe ich jetzt in der Bahnhofsbar den Gästen Getränke bringen. Am Bahnsteig dagegen macht sich Herr Popović Senior persönlich bereit, um (vermutlich) seinen Sohn abzulösen. Mittels einer Sackkarre hat er Nachschub für den Speisewagen dabei.
Pünktlich rollt der Zug aus Wien ein. Ich hatte mir vorher noch eine Fahrkarte nach Ljubljana am Automaten für 13,90 Euro gekauft. Der Preis für eine Fahrkarte 2. Klasse innerhalb Sloweniens ist auf 12,40 Euro gedeckelt. Darauf kommen nun nochmal 1,50 Euro IC/EC-Zuschlag. Es bleibt dabei: Zugfahren ist hier extrem günstig. Ich steige zunächst in den letzten Wagen ein, ein slowenischer Großraumwagen (außerplanmäßig, normalerweise ein Abteilwagen). Im Emona gibt es keine Wagen mit Fenstern zu öffnen, es verkehren nur klimatisierte Wagen, teils von der slowenischen Bahn, teils von den Österreichischen Bundesbahnen. Die ÖBB-Wagen an der Zugspitze fahren ab Ljubljana noch weiter nach Trieste. Damit kann man also durchgängig die komplette historische Südbahn von Wien bis in die Hafenstadt der damaligen k.u.k.-Monarchie befahren. Die slowenischen Wagen (samt Speisewagen) bleiben in Ljubljana und fahren dann nachmittags eben wieder zurück nach Wien. Angekuppelt werden auch in diese Richtung noch ÖBB-Wagen aus Trieste.
Während der Zug (insbesondere die vorderen Wagen – die Verbindung nach Trieste ist sehr beliebt) insgesamt sehr voll ist, ist der letzte Wagen recht leer. Ich setze mich für ein paar Minuten hierhin, um eine Steckdose zu nutzen. Mein Handy möchte geladen werden.
Nachdem ich genug Strom habe, mache ich mich auf in den Speisewagen. Es ist jedes Mal ein Vergnügen, allein schon wegen der schönen Einrichtung.
Auf einem Tisch direkt hinter der Küche steht ein „Reserviert“-Schild. Es ist der Platz von Herr Popović. Wenn es gerade mal etwas ruhiger im Speisewagen ist (den er alleine schmeißt – Bedienen, Zubereiten, Kochen), dann sitzt er hier, trinkt sein Wasser und liest Zeitung.
Der Andrang gerade ist überschaubar, trotzdem gibt es genug zu tun und es dauert einige Minuten, bis er aus der Küche kommt und meine Bestellung aufnimmt. Die Karte ist nicht üppig, aber das kann man von so einem Ein-Mann-Familienbetrieb auch nicht erwarten. Die „Spezialität“ sind Schnitzel, die es hier in verschiedenen Varianten gibt. Nachdem mir Herr Popović mein alkoholfreies Bier gebracht hat, verschwindet er also wieder in der Küche, um mir mein „Naturschnitzel mit Beilage“ (in der Regel Pommes oder Reis – je nachdem, was er gerade da hat) zuzubereiten. Das macht er frisch und deshalb dauert es auch, aber es schmeckt dann umso köstlicher.
Unzählige Geschichten ranken sich um diesen Speisewagen. Herr Popović hat viele Stammgäste, da steht das Essen schon auf dem Tisch, bevor sie bestellen können. Er weiß, was sie möchten. Mitarbeiter der ÖBB aus Wien, die einen Auswärtstermin in Graz haben, legen den Beginn stets so, dass eine Anreise mit dem Emona möglich ist. Die Verkehrsministerin war auch schon mehrfach zu Gast und es für besondere Gäste gibt es Gerichte, die nicht auf der Karte stehen. Kommt der Ersatz-Speisewagen (älteres Modell mit Fenstern zum Öffnen) zum Einsatz, weil der normale Wagen in der Werkstatt ist, gibt es besondere Gerichte.
Irgendwann ist aber auch das Essen aufgegessen und mein Handy bittet weiter um Strom. Ich bezahle, gebe Herrn Popović ein üppiges Tringeld und sage ihm noch einmal, wie sehr ich mich jedes Mal freue hier zu sein, dann geht es zurück in den Sitzwagen, vorbei noch am Barbereich des Speisewagens.
Wir fahren nun im engen Tal der Save. Diese Strecke ist sehr beeindruckend, aber natürlich wären hier Fenster zum Öffnen schöner. Man kann aber nicht alles haben.
Weil ich keine Fotos durchs spiegelnde Fenster gemacht habe, hier ein paar Eindrücke von einer anderen Fahrt auf dieser Strecke:
Mit wenigen Minuten Verspätung erreichen wir Ljubljana, wo der Zugbegleiter Mühe hat, alle Gäste zur Weiterfahrt nach Trieste in die vorderen drei Wagen zu navigieren, die aus allen Nähten platzen. Ein vierter Wagen wäre geplant, der fehlt aber wegen des Wagenmangels der ÖBB. Doch selbst mit einem weiteren Wagen wäre die Kapazität sehr knapp. Manchmal wundere ich mich, dass auf manchen Strecken nicht längere Züge eingesetzt werden. Gut, dass ich heute nicht weiterfahren muss.
Eigentlich würde der Zug sogar weiter in die Richtung fahren, in die ich muss, um nach Koper zu kommen. Das Problem: Nach Koper selbst fahren nur zwei (bzw. in der Sommersaison drei) Züge pro Tag. Vermutlich wird die Strecke größtenteils für den üppigen Güterverkehr gebraucht. Der nächste Zug würde erst nach Abfahrt meines Nachtzuges ankommen, also muss ich mit dem Bus nach Koper. Fernbusse stellen auf dem Balkan das hauptsächlich genutzte öffentliche Verkehrsmittel dar, weil es einfach zu wenige Zugverbindungen gibt bzw. die Reisezeiten unattraktiv sind. Der Bus fährt jetzt am Nachmittag jede halbe Stunde vom Busbahnhof Ljubljana (direkt vor dem Hauptbahnhof) nach Koper und braucht dafür knapp anderthalb Stunden. Die zwei bis drei Züge pro Tag brauchen dagegen eine ganze Stunde mehr. Also gehe ich zum Schalter am Busbahnhof und kaufe für 9,30 Euro ein Ticket für den nächsten Bus.
Der bringt mich und die vielen anderen Fahrgäste dann über die Autobahn schnell und ohne Zwischenhalte bis zur Küste. Der Bus ist klimatisiert und bequem und es ergeben sich noch einmal ein paar andere Eindrücke im Vergleich zum Zug.
Slavnik – diesen Gipfel hatte ich letzten Sommer bestiegen
Vernünftig aus dem Bus fotografieren kann ich aber nicht. Pünktlich erreichen wir den Busbahnhof Koper, der auch hier direkt am Bahnhof liegt. Mein Zug steht hier seit seiner Ankunft heute früh am Bahnsteig. Bis zur Abfahrt sind es noch über dreieinhalb Stunden. An der Tür des Schlafwagens sehe ich einen Mann mit einem Wischmopp, vermutlich ist es der Schlafwagenbetreuer, der nochmal sauber macht.
Es ist hier weniger heiß als noch in Ljubljana, was vor allem daran liegt, dass ein ordentlicher Wind weht, der es angenehm macht. Über den Bergen dagegen scheint es zu brodeln und Wolkentürme schießen nach oben.
Zu Fuß mache ich mich auf in Richtung Innenstadt. Es ist ein nettes kleines Städtchen, das architektonisch nicht verhehlen kann, dass es auch italienisch geprägt ist (und zeitweise auch zu Italien gehörte – daher ist auf Landkarten auch meist der italienische Name Capodistria angegeben).
Am Rande der Altstadt steht man dann am Meer, mit Blick auf den Hafen und einem großen Containerschiff, dass hier gerade beladen wird. Koper ist der einzige Seehafen Sloweniens und für den europäischen Warenhandel ein sehr wichtiger.
Direkt neben dem Hafengebiet gibt es ein Strandbad. Obwohl die Hitze wegen des Windes nicht ganz so drückend ist, muss ich natürlich ins Wasser springen. Auch kommende Nacht wird es keine Dusche im Nachtzug geben. Der Strand ist größer als der in Rijeka, er hat eine echte Liegewiese, Stege ins Wasser, sodass man nicht wieder über Steine gehen muss. Es ist aber erneut kein Sandstrand, und Schließfächer gibt es hier auch nicht. Ich drapiere meinen Rucksack also wieder an einer Mauer, sodass ich ihn gut aus dem Wasser sehen kann und springe rein.
Das Wasser ist (gefühlt) noch wärmer als gestern, aber ich bin wieder einmal glücklich, hier schwimmen zu können. Diese Kombination, vor oder nach einer Nachtzugfahrt ins Meer springen zu können, ist wahrer Luxus.
Etwa eine Stunde verbringe ich hier, dann zieht es sich etwas zu und Wolken verdecken die Sonne. Ich ziehe mich wieder an, verzichte diesmal auf das Luftrocknen der Basehose am Körper und schlendere langsam wieder zurück in Richtung Bahnhof. Ein Eis muss natürlich wieder sein, es ist schließlich Sommer.
40 Minuten vor Abfahrt des Zuges bin ich vor Ort. Es gibt trotz der wenigen Züge sogar ein richtiges Bahnhofsgebäude mit kostenloser Toilette, einen Schalter (aber mit kurzen Öffnungszeiten) und klimatisiert ist es auch. Die Temperatur draußen ist aber nun relativ angenehm, sodass ich mir den Zug von außen in Ruhe anschauen kann.
Der Trägerzug für die Nachtzugwagen, also die slowenischen Wagen bis Maribor, besteht unter anderem noch aus einem klassischen Gepäckwagen für Fahrräder und mehreren alten Abteilwagen mit Fenstern zum Öffnen. Mit diesen Wagen war ich letztes Jahr bis Ljubljana gefahren und hatte mir dabei vorgenommen, wiederzukommen und im Nachtzug mitzufahren.
Mein Schlafwagen ist der letzte Wagen des Zuges. Der Wagenbetreuer ist diesmal ein junger Mann, der in vollständiger Uniform (ist ihm nicht viel zu heiß?) an der Tür steht neben seiner Kollegin, die für den Liegewagen verantwortlich ist. Die beiden diskutieren lautstark mit einer Gruppe Fahrradfahren. Worum es geht, verstehe ich mangels ungarischer Sprachkenntnisse nicht. Später werden die Radfahrer ihre Fahrräder in das Fahrradabteil des Nachtzug-Sitzwagens laden und im Liegewagen bis Budapest fahren.
Ich zeige dem Schlafwagenbetreuer meine Fahrkarte, er hat die Liste aller Fahrgäste ganz modern auf einem Tablett und hakt mich dort digital ab und vermerkt dort auch, dass ich zum Frühstück gerne einen Kaffee (alternativ gäbe es Tee) hätte, dann darf ich in den Wagen.
Auch dieser Wagen ist wunderbar gepflegt und sehr sauber und ich freue mich auf die Fahrt. Auch das Bett ist weicher als die Liege in der letzten Nacht. Ich richte mich ein, und oben im Abteil, wo sich die Hitze staut, hänge ich meine Badesachen zum Trocknen auf. Man muss sich zu helfen wissen auf solchen Fahrten.
In den letzten Minuten vor Abfahrt müssen noch viele slowenische Fahrgäste nach vorne in die Sitzwagen gelotst werden, die versehentlich hinten in die Nachtzugwagen einsteigen möchten, dann werden die Türen geschlossen, und mehr oder weniger pünktlich setzen wir uns in Bewegung. Der Zug erklimmt nun die Berge – und im Abendlicht ergeben sich dabei aus dem offenen Fenster (mal auf der Gangseite, mal auf der Abteilseite) wunderbare Ausblicke. Ich kenne wenige so schöne Strecken. Das war letztes Jahr schon ein Traum und ist es dieses Jahr erneut.
An einem Bahnhof auf der Strecke kommen wir außerplanmäßig zum Halten, weil wir hier die Kreuzung mit dem Gegenzug abwarten müssen. Die Strecke ist nur eingleisig, ein zweites Gleis wird als Neubaustrecke derzeit auf völlig neuer Trasse gebaut.
Während ich dort am Fenster stehe, kommt ein Mann durch den Gang zu mir gelaufen, er blickt freundlich drein, ist sommerlich mit kurzer Hose angezogen. Er spricht mich auf Ungarisch an, ich sage, dass ich nur Englisch verstehe. Für ihn kein Problem. Er stellt sich als Mitarbeiter der ungarischen Bahn vor und hat einen Fragebogen zu diesem Zug dabei. Ich stimme zu, dass er mir die Fragen jeweils auf Englisch stellt und den Fragebogen ausfüllt. Ich darf viele Fragen beantworten, zum Zug, zur Qualität, zum Anlass meiner Reise, etc. Manche Fragen kann ich auch noch nicht beantworten, etwa wie ich geschlafen habe. Dafür ist er mit dem Fragebogen etwas zu früh dran. Insgesamt gebe ich aber gute Noten, denn der Eindruck ist auch einfach gut.
Wir kommen währenddessen etwas ins Gespräch, ich erzähle ihm, dass ich zwei Tage zuvor bereits mit dem anderen Zugteil gefahren bin, den Blick aus dem Fenster und die Strecke liebe. Er offenbart mir, dass er der Produktmanager für diesen Nachtzug ist und man jedes Jahr erneut überlegt, ob der Zug noch angeboten wird und diese alten Wagen noch in Betrieb bleiben. Ich sage ihm, dass ich mich sehr freuen würde, wenn es den Zug weiter geben würde und ich bestimmt wieder an Bord gehen würde, vielleicht schon nächsten Sommer. Dann verabschiedet er sich. Es ist wieder eine dieser besonderen Begegnungen, die es gerade in Nachtzügen häufig gibt.
Mittlerweile ist der Gegenzug (ein moderner Triebzug der slowenischen Bahn) an uns vorbeigefahren und es geht weiter den Berg herauf.
Dieser Blick in der Abendsonne zurück zu Meer auf die beiden Städte Koper und Trieste, ist einfach unbezahlbar schön. Verwackelte Fotos im Abendlicht können das nur bedingt transportieren.
Irgendwann liegt dann dieser schönste Abschnitt hinter uns und der Blick zum Meer zurück ist vorbei. Trotzdem ist die Fahrt durch die Berge weiterhin sehr eindrucksvoll.
Wir treffen auf die Strecke von Pula, die sich hier mit unserer vereinigt. Der Fahrplan dieses einzigen Zug des Tages aus Pula nach Slowenien ist auf unseren Zug abgestimmt, er folgt wenige Minuten hinter uns.
Kurz vor dem Bahnhof von Divača treffen wir dann auch auf die Baustelle der neuen Strecke nach Koper, die größtenteils im Tunnel verläuft. Wenn das bedeutet, dass künftig mehr Personenzüge auf der „alten“ Strecke fahren können, die landschaftlich so schön ist, wäre das ein Gewinn. In Divača selbst treffen wir dann wieder auf die Hauptstrecke Trieste – Ljubljana und warten am Bahnsteig auf den Zug aus Pula und die Fahrgäste, die hier umsteigen und mit uns weiterfahren.
Erst vor wenigen Wochen war ich selbst diesen Zug aus Pula gefahren. Auch hier ist vor allem der letzte Teil der Fahrt sehr beeindruckend, wenn man (ähnlich wie bei der Strecke aus Koper) hoch in den Bergen mit Blick ins Tal und Richtung Meer fährt. Davor ist die Strecke landschaftlich nicht sonderlich beeindruckend. Ich hatte auch noch Glück, dass ein älterer Triebzug zum Einsatz kam mit Fenstern zum Öffnen. Mittlerweile werden an einigen Tagen bereits moderne klimatisiere Züge eingesetzt und es ist zu befürchten, dass sie den Verkehr irgendwann komplett übernehmen werden. Damit fällt demnächst dieses tolle Erlebnis dann auch hier weg. Heute Abend kommt aber wieder der ältere Triebzug aus Pula eingefahren.
Mittlerweile ist es richtig dunkel, ich bin müde und schließe die Tür zum Abteil. Ich genieße es aber noch etwas, die frische Luft am offenen Fenster einzuatmen und den Zug zu sehen, wie er die Landschaft etwas erhellt. Auch das können Fotos kaum rüberbringen.
Es bleibt eines der Highlights im Nachtzug, in die Nacht schauen zu können, ohne dass sich Licht im Fenster spiegelt, weil man das Licht im Abteil ausschalten kann. Noch besser ist es natürlich, wenn man eben – wie hier – das Fenster öffnen kann.
Nachdem wir in Pivka gehalten haben und damit den Punkt erreicht haben, an dem ich auf der Hinfahrt mit dem anderen Zugteil nach Rijeka abgebogen bin, lege ich mich schlafen. Wieder mit offenem Fenster, weil es sonst weiterhin zu warm wäre. Das Problem mit der Helligkeit bei Bahnhöfen, die wir durchfahren, regelt wieder die Schlafmaske, das akustische Problem können meine Ohrstöpsel aber heute Nacht nur bedingt regeln, denn bei jeder Bremsung ist der Krach ohrenbetäubend. Irgendwie scheint die Bremse nicht optimal eingestellt zu sein. Der Liegewagen gestern war viel leiser unterwegs. Trotzdem bin ich so müde, dass ich irgendwann einschlafe. Das Bett ist bequem, die richtige Bettwäsche dann doch nochmal besser als im Liegewagen. Vom Halt in Ljubljana bekomme ich nichts mit, obwohl dort sicher viele Menschen den Zug verlassen und die Wagen aus Rijeka angekuppelt werden. Ich werde wieder wach, als wir kurz vor Maribor sind. Es ist 1 Uhr nachts und ich blicke aus dem Fenster, sehe vorne aus den slowenischen Wagen Menschen am Bahnhof Pragersko aussteigen. Noch sind wir also in Slowenien und hängen immer noch am Trägerzug aus Koper. Ich kann wieder die Sterne sehen, schlafe dann aber weiter. Mittlerweile ist es im Abteil gut genug abgekühlt, sodass ich das Fenster und die Jalousie schließen kann und dann auch besser schlafe und von den längeren Halten und Rangierarbeiten in Maribor, Hodoš und Zalaegerszeg nichts mitbekomme.
Gegen viertel vor 7 wache ich auf. So richtig erholsam war die Nacht nicht, der Schlaf im Nachtzug ist nie besonders tief, ein bisschen gerädert fühle ich mich, aber ich mache es ja für das Abenteuer.
Das Fenster habe ich wieder geöffnet und bleibe dann noch etwas liegen. Irgendwann strecke ich dann meinen Kopf raus. Die Strecke hier, nördlich des Balatons, ist ganz nett, etwas hügelig und kurvig.
Nachdem ich die Abteiltür geöffnet habe und der Wagenbetreuer gesehen hat, dass ich wach bin, bringt er mir das Frühstück. Es ist etwas üppiger als im Liegewagen.
Beim genaueren Hinschauen stelle ich fest, dass das Brot leicht schimmelt und werfe es lieber weg. Ich bin mir sicher, so bemüht wie der Schlafwagenbetreuer ist, hätte er mir sofort neues Brot gegeben, ich bin aber zu faul, ihn anzusprechen und habe so kurz nach dem Aufstehen auch noch nicht viel Hunger. Da reicht der Kaffee und die Paprika, die er offenbar frisch aufgeschnitten hat.
Die Landschaft wird flacher und wir kommen Budapest näher. Unser Zug hat eine knappe Stunde Verspätung. Wo wir uns die eingefahren haben, weiß ich nicht. Das soll mir aber egal sein. Irgendwann kommt dann Budapest in Sicht und wir fahren wieder in den Bahnhof Budapest-Déli ein, dort, wo vor vorvorgestern Abend alles begonnen hat.
Nein, besonders erholsam waren diese Nächte nicht. Ja, die Wagen sind alt, sie sind laut, eine moderne Klimaanlage würde beim Schlafen helfen. Aber wäre dann die Fahrt so ein Abenteuer mit so vielen Glückgefühlen, mit einer so großartigen Aussicht aus dem Fenster, mit Blick aus dem Bett in die Sterne, mit dem Liegen unter der Bettdecke und dabei den Fahrtwind spüren? Nein, das wäre sie nicht – und das wäre ein herber Verlust. Jeder Sommer, in dem das noch möglich ist, ist ein Geschenk und muss genutzt werden. Ich hoffe, das weiß am Ende auch der Produktmanager.
Wow, Vielen Dank für diesen Reisebericht! Der weckt echt Reiselust in mir, im „Retro Istria“ mitzufahren. Allein dieser Name: Re-tro Istr-ia.
Hoffentlich gibt es den Nachtzug mit den alten Schlafwagen auch noch nächstes Jahr, denn da würde ich doch gerne mal mitfahren.
Danke für diesen tollen Reisebericht! Ich bin schon auf den nächsten gespannt…
Danke für das schöne Feedback!