Sommernächte im Retro Istria

Ich schlafe zunächst recht tief und fest, bekomme nichts mit von den Halten in Veszprém (wo die Sitzwagen für den Tagverkehr abgehängt werden), Zalaegerszeg (Lok- und Richtungswechsel) oder Hodoš (Grenzbahnhof mit Lokwechsel). Irgendwann wache ich auf, weil ich auf die Toilette muss. Ich ziehe meine Schlafmaske von den Augen weck und erblicke direkt die Sterne durch das offene Fenster. Ich bin sofort geflasht. Dieser Moment ist einfach perfekt. Ich liege im Nachtzug, bin gerade kurz aufgewacht und gucke direkt in den Sternenhimmel. Kann es etwas Schöneres geben? Es hat eben doch einen Vorteil, wenn man die Jalousien im Nachtzug mal nicht zuzieht (was ich nicht kann wegen des offenen Fensters). Ich gehe durch den verwaisten Gang – schließlich schlafen alle – auf die Toilette. In diesem alten Wagen herrscht so eine friedliche, schöne und ruhige Stimmung. Das ist eben der Unterschied zwischen Reisen und Pendeln. Zurück im Abteil, schaue ich kurz auf das Handy, wir sind bereits in Slowenien, dann schlafe ich weiter.

Der Schlaf jetzt ist nicht mehr so tief und fest. Nach gut anderthalb Stunden wache ich schon wieder auf, viel Licht fällt ins Abteil. Es ist die Bahnsteigbeleuchtung von Maribor, die mir hier, gegen 3 Uhr, ins Gesicht fällt, sogar an der Schlafmaske vorbei. Ich strecke den Kopf aus dem Fenster, denn der Zug bewegt sich. Es sind Rangierbewegungen. Die sechs Wagen aus Budapest werden hier an den slowenischen Trägerzug nach Koper rangiert. Dieser Zug startet als Regionalzug in der Sommersaison jeden Morgen hier um 3.10 Uhr. Er besteht auch aus schönen alten Reisezugwagen, bei denen man die Fenster noch öffnen kann, zumindest im Juli und August, wenn es den Nachtzug aus Budapest gibt. Außerhalb des Zeitraumes, wenn keine klassischen Reisezugwagen aus Ungarn angekuppelt werden müssen, kommt ein schnöder moderner Triebwagen zum Einsatz.

Ich beobachte die Rangiererei, bis wir wieder am Bahnsteig zum Stehen kommen. Mittlerweile ist die Nacht weit genug fortgeschritten und die Temperatur im Abteil so weit gesunken, dass ich mich (auch aus akustischen Gründen) dazu entschließe, das Fenster zu schließen und die Jalousie dazu. Die nicht besonders angenehme Schlafmaske kann ich nun weglassen. Noch bevor der Zug in Maribor abfährt, schlafe ich wieder ein.

Der Schlaf ist nun aber eher so ein Dösen. Mal tiefer, mal nehme ich recht viel wahr, etwa, dass die Strecke nun sehr kurvig ist. Kein Wunder, schließlich fahren wir auf der mir sehr gut bekannten Strecke durchs Tal der Save. Irgendwann bin ich dann aber nochmal vollständig weg und wache erst auf, als an der Jalousie vorbei wieder viel Licht ins Abteil fällt. Es ist diesmal Tageslicht. Wir stehen am Bahnhof Ljubljana, es ist kurz nach 6. Die drei Wagen nach Rijeka hat der Zug nach Koper hier stehen lassen, sie bekommen eine eigene Lok und fahren dann als eigener Zug nach gut 40 Minuten weiter.

Ich bleibe noch etwas liegen und sehe die Häuser Ljubljanas vorbeiziehen, als wir weiterfahren. Es geht zunächst durch das Laibacher Becken, bis wir nach dem Halt in Borovnica ins Karstgebirge kommen. Hier schlängelt sich der Zug auf der historischen Südbahn aus Wien bis nach Triest in vielen Kurven und Schleifen hinauf. Ich hänge wieder am Fenster und genieße die tolle Aussicht an diesem Sommermorgen.

Der Tag ist noch jung, wird wieder sehr heiß werden, aber noch ist es mit kurzer Hose und T-Shirt im Fahrtwind am Fenster fast noch zu kalt. Da kommt ein heißer Kaffee zum Frühstück, den mir die Liegewagenbetreuerin bringt, gerade recht. Dazu gibt es eine süßes Gebäckstück, dass ich (als Allergiker) aber leider nicht vertrage.

In Postojna legt der Zug den nächsten Halt ein. Auch hier gibt es sehr bekannte Höhlen, die ich allerdings noch nicht besucht habe. Letztes Jahr hatte ich die Wahl, entweder hierhin oder zu den Höhlen von Škocjan zu fahren. Ich habe mich für letztere entschieden, da sie noch etwas beeindruckender und etwas weniger touristischer (aka etwas mehr Geheimtipp) sein sollen.

Ein paar Minuten später erreicht der Zug dann Pivka. Eine kleine Gemeide, aber ein wichtiger Bahnhof, denn hier zweigt die Strecke nach Rijeka von der Südbahn Wien – Trieste ab. Ab jetzt geht es eingleisig weiter. Beidseits der Grenze gibt hier etwas Nahverkehr, die Gesamtstrecke mit Grenzüberquerung wird dagegen nur von zwei Zügen Ljubljana – Rijeka täglich befahren. Dazu kommt in diese Richtung noch der Retro Istria im Sommer (in der Gegenrichtung sind die Wagen an den späteren der beiden „normalen“ Züge gekuppelt).

Nach links zweigt die Strecke von der Hauptbahn nach Trieste ab

Etwa eine Viertelstunde fährt der Zug durch meist waldiges Gebiet bis zum slowenischen Grenzbahnhof Ilirska Bistrica. Vor ein paar Jahren, als ich das erste Mal hier unterwegs war, gab es hier noch eine slowenische Ausreisekontrolle. Mittlerweile ist auch Kroatien Schengen-Land und es, deshalb geht es direkt weiter. Die Grenze überqueren wir in einem Tunnel, dann fährt der Zug in den kroatischen Grenzbahnhof Sapjane ein. Hier muss die Lok gewechselt werden, denn in Kroatien gibt es ein anderes Bahnstromsystem.

Der Wechsel zwischen den zwei Stromsystemen (3 kV Gleichspannung in Slowenien und 25 kV Wechselspannung in Kroatien) erfolgt in der Mitte des Bahnhofs. Hierfür gibt es zwischen beiden Systemen ein kurzes Stück Oberleitung ohne Spannung. Die slowenische Lok rollt mit Schwung in den Bahnhof ein, senkt rechtzeitig den Stromabnehmer und rollt bis unter die Oberleitung mit der “kroatischen Spannung”. Nun kommt vorne die kroatische Lok, kuppelt an die slowenische an, und zieht diese vom Zug weg bis hinter eine Weiche. Die Weiche wird auf ein anderes Gleis umgelenkt und die Kupplung zwischen beiden Loks gelöst. Nun schiebt die kroatische Lok die slowenische an und gibt ihr ordentlich Schwung, bleibt aber selbst noch im „eigenen“ Stromsystem stehen. Die slowenische Lok rollt mit dem Schwung über das Nebengleis wieder zurück in den Bereich mit der “slowenischen” Spannung. Dort kann sie dann wieder den Stromabnehmer heben und sich mit eigener Kraft fortbewegen. Parallel kuppelt die kroatische Lok am Zug an, um ihn weiterzubefördern.

Dieses klassische Verfahren gibt es heute an immer weniger Grenzbahnhöfen. Gerade hier in der Region ist es aber noch oft zu beobachten und jedes Mal beim Zuschauen ein Erlebnis.

Anderswo gibt es Grenzbahnhöfe, in denen die komplette Oberleitung vom einen ins andere Stromsystem umgeschaltet werden kann oder es gibt eine Trennstelle auf freier Strecke. Diese Strecken können dann aber nur Loks/Triebzüge passieren, die mit beiden Stromsystemen klarkommen. Sie senken vor der Trennstelle dann kurz den Stromabnehmer, rollen mit Schwung durch, stellen die Software auf das neue Stromsystem um und heben den Stromabnehmer wieder.

Mein Abteil am Morgen

Weiter geht es! Unser Zug hatte sich schon in Slowenien etwas Verspätung eingefahren, die kann auch hier bei diesem langen Prozedere nicht eingeholt werden. Das dürfte aber so gut wie allen Fahrgästen (Urlaubern) in diesem Zug egal sein. Kaum jemand wird einen Anschlusszug brauchen in Rijeka. Der nächste sinnvolle Anschluss fährt auch erst Stunden später. Trotzdem informiert die umtriebige Liegewagenbetreuerin alle Fahrgäste proaktiv über die ca. 15-minütige Verspätung.

Nach der Abfahrt im Sapjane schrauben wir uns die Berge wieder hinab Richtung Küste und nach ein paar Minuten kommt dann auch endlich das Meer in Sicht. Die letzten Kilometer sind nun ein Traum mit vielen herrlichen Aussichten.

Am wunderschönen Bahnhof Opatija Matulji warten wir etwas länger auf einen Gegenzug (der genau genommen noch eine allein fahrende Lok ist, die wohl in Richtung Grenze fährt, um dort den nächsten Zug in Empfang zu nehmen). Mit etwa einer halben Stunde Verspätung geht es auf die letzte Etappe bis zur Küste.

Dann erreichen wir den Bahnhof Rijeka. Mittlerweile ist es schon wieder sehr heiß und die Sonne brennt. Ich verabschiede mich bei der Liegewagenbetreuerin, bedanke mich und fotografiere den Zug noch von außen.

Sie bleibt im Wagen zurück und zieht die Tür hinter sich zu. Vermutlich wird sie den Wagen nun bereits für die Rückfahrt herrichten und säubern. Wann, ob und wo sie Schlaf bekommt, weiß ich nicht.

In Rijeka führen Bahnstrecken aus zwei Richtungen zusammen. Da wäre einmal die von Pivka (also Ljubljana) und auf der anderen Seite die Strecke nach Zagreb. Diese bin ich noch nicht gefahren und möchte das gerne mal machen. Es gibt ein einziges durchgehendes Zugpaar jeden Tag. Der Zug fährt um 14 Uhr, es ist nun 9.30 Uhr.

Was tut man also, wenn der Nachtzug keine Dusche hatte und man das Meer am Zielort hat? Man springt rein. Dafür muss ich vom Bahnhof Rijeka aber erstmal rund drei Kilometer gehen, denn rund um den Bahnhof ist die Küste mit den Hafenanlagen verbaut. Es geht dabei vorbei an der Innenstadt, wo ich mir in einem Supermarkt noch etwas Frühstück organisiere und auf einer Parkbank esse. Dann weiter entlang von Bahngleisen und auf dem schmalen Bürgersteig einer vielbefahrenen Straße. Schön ist der Weg nicht und die Sonne und der Beton heizen ordentlich ein. Ich hätte auch mit dem Bus fahren können, wollte aber doch gerne etwas mehr von den umfangreichen Eisenbahn- und Hafenanlagen sehen. Irgendwann lasse ich diese dann hinter mir und laufe durch eine weniger befahrene Straße, weil die Hauptstraße in einem Tunnel im Berg verschwindet. Der Blick aufs Meer, das einige Meter unterhalb der Straße liegt, wird von Häusern versperrt, darunter auch von Hotels mit eigenem Meerzugang. Aber irgendwann führt eine Treppe hinunter zu einem öffentlichen Strand.

Der Blick ist fantastisch. Rechts die Hafenanlagen mit einem großen Containerschiff. Vor mir das klare Wasser in herrlich blauer Farbe. Das einzige Problem: Der kleine „Strand“ – ohne Sand, dafür mit vielen Steinen – ist extrem voll. Mit nur wenigen Zentimetern Abstand zueinander liegen die Menschen hier und sonnen sich.

Platz habe ich also hier nicht zum Sonnen, sondern lediglich im Meer. Ich stelle meinen Rucksack an eine Mauer, ziehe mir meine Badesachen an und laufe über die nicht gerade angenehmen Steine ins Meer. Es ist ein Traum. Das Wasser ist angenehm warm, die Aussicht ist toll und ich freue mich, nach der Nacht ohne Dusche und nach dem Schwitzen auf dem Weg hierhin nun im Wasser sein zu können. Blöd ist dabei, wenn man allein unterwegs ist, die Angst um die eigenen Wertsachen. Ich habe sie tief in meinem großen Rucksack versteckt und habe den Rucksack aus dem Wasser ständig im Blick. Das macht die ganze Situation leider etwas unentspannter, als sie hätte sein können. Trotzdem genieße ich es, hier zu sein und bin glücklich im Meer. Schade, dass es an solchen öffentlichen Strandbädern nur selten Wertschließfächer mit Schlüsseln gibt, die man sich dann (wie in normalen Schwimmbädern) um das Handgelenk binden kann.

Nach einigen Minuten im Wasser sonne ich mich ein bisschen im Stehen auf einer betonierten Fläche des Strandbades, wo sich auch eine Süßwasserdusche befindet. Anschließend springe ich ein zweites Mal ins Meer.

Etwa eine Stunde verbringe ich hier, bis ich mich etwas abtrockne, mir ein Funktionsshirt überziehe und wieder meinen Rucksack aufsetze. Meine Badehose behalte ich an. Sie wird bei diesen Temperaturen von selbst trocknen.

Um nicht den gleichen unschönen Weg zurück in die Stadt zu wählen, steige ich über weitere Treppen weiter hinauf. Rijeka liegt hier an einem relativ steilen Berghang. Dann erreiche ich den Bahnhof Sušak-Pećine, dieser liegt an der Strecke nach Zagreb.

Hier teilt sich die Strecke aus Zagreb. Güterzüge können über einen Kehrtunnel direkt in den Hafen von Rijeka fahren (und dann weiter entlang der Innenstadt zum Personenbahnhof), Personenzüge fahren dagegen weiter oben am Berg – diese Strecke braucht keinen Kehrtunnel, um langsam bis zum Bahnhof abzufallen.

Theoretisch könnte ich von hier aus mit dem Zug zum Bahnhof fahren. Wenn denn einer fahren würde, bis zum nächsten sind es anderthalb Stunden. Der Personenverkehr ist hier sehr rar.

Ich laufe also zu Fuß weiter in die Innenstadt. Rijeka hat eine ganz nette kleine Innenstadt – im Kern mit einer Haupteinkaufsstraße, die mich aber nicht vom Hocker reißt. Insgesamt wirkt Rijeka aber eher dreckig, unaufgeräumt und viele Häuser sehen recht marode aus.

Ich kaufe mir ein Eis, später noch im Supermarkt Proviant für die weitere Fahrt, und gehe langsam zurück zum Bahnhof. Etwa eine Stunde vor Abfahrt des Zuges nach Zagreb bin ich vor Ort. Eigentlich sollte zu dieser Zeit der Zug aus Zagreb ankommen, der hier eine Stunde Wendezeit hat und wieder zurückfährt.

Vom Zug ist aber minutenlang nichts zu sehen. Langsam kommen die ersten weiteren Menschen auf den heißen Bahnsteig, die offenbar auch in Richtung Zagreb fahren wollen. Ich esse einen Salat, den ich mir gerade im Supermarkt gekauft habe, als Mittagssnack. Irgendwann wird der Zug dann auf der Anzeigetafel des Bahnsteigs angezeigt – mit 50 Minuten Verspätung in der Ankunft. Das wird knapp, dass er dann pünktlich wieder zurückfahren kann, wenn auch noch die Lok wieder auf die andere Seite rangiert werden muss.

Ich schaue mich etwas am Bahnhof um. Auf einem Stumpfgleis steht ein moderner slowenischer Triebzug abgestellt. Er fährt diesen Sommer erstmals als Dreiländerzug von Villa Opicina über Pivka nach Rijeka. Es ist der erste Einsatz der modernen slowenischen Züge nach Kroatien. Einerseits schön, dass so der grenzüberschreitende Verkehr etwas ausgebaut wird, wenn auch auf sehr niedrigem Niveau, andererseits blicke ich immer auch mit einem weinenden Auge darauf, dass immer mehr moderne Züge Einzug halten, bei denen man keine Fenster mehr öffnen kann. Eine Modernisierung des Fuhrparks bleibt – objektiv gesehen – sicher richtig, aber das besondere Feeling bei den Fahrten hier in Slowenien und Kroatien geht damit immer mehr verloren.

Irgendwann kommt dann auch tatsächlich der Zug aus Zagreb eingefahren, verbunden mit einer kleinen Enttäuschung, denn auch hier rollt einer der moderneren kroatischen Triebzüge ein. Laut meinen Informationen fährt hier normalerweise eine Lok/Wagen-Garnitur mit klimatisierten Wagen, aber auch einem alten Wagen mit zu öffnenden Fenstern. Als ich vor ein paar Wochen schon einmal in Rijeka war und den Zug gesehen habe, war es auch so. Heute habe ich also Pech.

Einen Vorteil hat es: Der Zug ist angenehm klimatisiert bei dieser brütenden Hitze draußen – und eine Streckdose, um mein Handy aufzuladen, gibt es auch. Der Zug ist, was die Bestuhlung und das Interieur angeht, für mich eindeutig ein Regionalzug. Das ist er sogar offiziell auch, er hält an allen knapp 50 Halten auf der Strecke. Die Fahrt dauert knapp fünf Stunden. Absurd, dass es nur eine durchgängige Verbindung und auch keinen Fernzug zwischen der drittgrößten Stadt Kroatiens und der Hauptstadt gibt. Viele Menschen steigen hier in den Zug ein, ich habe trotzdem das Glück, in einer Vierer-Sitzgruppe allein zu bleiben. Abgesehen von einer kleinen Ablage am Fenster, gibt es keinen richtigen Tisch. Die Sauberkeit des Zuges ist in Ordnung, auch die Toilette funktioniert und ist recht sauber. Trotzdem kommt in so einem Regionalzug kein richtiges Reisefeeling auf.

Pünktlich setzt sich der Zug in Bewegung. Das ist der Vorteil an so einem Triebzug. Die Wende geht trotz der Verspätung so schnell, dass wir direkt wieder abfahren können, keine Lok, die umfahren muss, kein aufwendiges Kuppeln, keine Bremsprobe.

Der Zug fährt nun auf der anderen Seite des Bahnhofs weiter, ich setze also quasi die Fahrt von heute Morgen geradeaus fort und der Zug erklimmt auf der anderen Seite des Bahnhofs wieder den Berg. Dabei gibt es wieder eine atemberaubende Aussicht hinunter in Richtung Meer. Leider kann ich sie nicht am offenen Fenster genießen, und Fotos durch das geschlossene Fenster können nur im Ansatz zeigen, wie schön die Fahrt zunächst ist.

Nach etwa einer Dreiviertelstunde haben diese Aussichten ein Ende und der Zug verschwindet im Inland und fährt durch nicht mehr besonders beeindruckende Landschaften, erst recht im Vergleich zu denen, die ich heute schon gesehen habe. Im Vierer nebenan sitzen zwei Interrailer in meinem Alter, einer aus den Niederlanden, einer aus Italien und unterhalten sich. Ich lausche ein wenig, wie sie sich über ihre Tour austauschen, nehme aber selbst keinen Kontakt mit den beiden auf. Ich bemerke meine Müdigkeit.

Zwischenzeitlich kommt der kroatische Zugbegleiter vorbei und scannt meine Fahrkarte. Ich hatte sie vor ein paar Tagen online bei der kroatischen Bahn zum läppischen Preis von gut 8 Euro gekauft. Das ist wohlgemerkt kein Sparpreis, sondern der reguläre Preis für einen Fahrschein. Bahnfahren in den ehemaligen jugoslawischen Ländern ist derart günstig, dass es sich hier nicht lohnt, dafür einen Interrail-Pass zu kaufen (oder bei einem Interrail Flexi-Pass einen Reisetag dafür zu verbrauchen).

Nach knapp zweieinhalb Stunden Fahrt erreicht der Zug Ogulin, einen kleinen Eisenbahnknotenpunkt. Hier gibt es einen Personalwechsel.

Kurz nach der Abfahrt zweigt die nicht elektrifizierte Bahnstrecke Richtung Dalmatien (Knin – Split) ab. Am folgenden Bahnhof, Ostarije, steigt der Italiener im Vierer nebenan aus. Er will hier den Anschlusszug nach Split bekommen, der aus Zagreb kommt und den wir etwas später kreuzen werden. Dass es hier einen ca. 30 Minuten-Anschluss gibt, ist für Balkan-Verhältnisse ungewöhnlich gut. Er funktioniert aber auch nur in diese Richtung. Eine Fahrt morgens ab Split mit Umstieg hier nach Rijeka geht fahrplanmäßig nicht.

Der Rest der Fahrt zieht sich einfach nur noch. Ich habe keine Lust mehr, bin müde, will ankommen. Das Wetter wird immer schlechter, aus dem Fenster gibt es nicht mehr viel spannendes zu sehen. Zwischenzeitlich belege ich mir noch Brote und esse sie. Gut, dass ich im Supermarkt genug eingekauft habe. Ein schöner Fernzug mit Speisewagen auf dieser Strecke wäre nett. Schade, dass die Bahn hier in Kroatien (und vielen weiteren Staaten des Balkans) so eine geringe Priorität genießt, dass so wenige Verbindungen angeboten werden und es auch kaum Fernzüge mit einem guten Serviceangebot wie einem Speisewagen gibt.

An einem der Halte stehen wir länger und warten auf den verspäteten IC aus Zagreb nach Split. Als der endlich kommt und wir die Zugkreuzung hinter uns gebracht haben, geht es mit 20 Minuten Verspätung weiter. Ab Karlovac (ca. eine Stunde noch bis Zagreb) füllt sich der Zug immer weiter. Mir gegenüber setzt sich nun ein älteres Paar in die Vierer-Sitzgruppe. Mir fallen immer wieder die Augen zu. Durch weitere Gegenzüge, die wir an ein paar Halten abwarten müssen, baut sich noch mehr Verspätung auf. Auch, dass dieser Zug quasi an jeder Milchkanne hält, nervt irgendwann. Mit rund 30 Minuten Verspätung rollen wir schließlich in Zagreb über die Save.

Es sieht so aus, als würde es jeden Moment anfangen zu regnen, aber es ist weiterhin sehr heiß, wie ich merke, als ich nach vielen Stunden den klimatisierten Zug verlasse. Der Anfang der Fahrt, die Berge hoch von Rijeka, war echt schön, und diese Strecke würde ich auf jeden Fall nochmal fahren. Schade, dass der Rest der Fahrt so langweilig ist.

Am Hausbahnsteig vom Zagreber Hauptbahnhof steht bereits der Nachtzug nach Zürich und Stuttgart bereit, der in gut zwanzig Minuten abfahren wird. Ich bin dankbar, dass ich mir für heute Nacht eine „echte“ Unterkunft gebucht habe. Bevor ich dorthin wenige Stationen mit der Straßenbahn fahre, gehe ich aber noch zum internationalen Fahrkartenschalter, um mir bereits mein Ticket für morgen zu kaufen. Ich muss morgen Abend in Koper sein, um dort den anderen Zugteil des Retro Istria zu bekommen. Dafür muss ich also wieder nach Slowenien. Die Grenze bei Dobova überqueren nur drei Züge am Tag. Neben dem Nachtzug am Abend ist das ein früher Zug um ca. 7 Uhr und ein Zug gegen Mittag. Bei der geringen Auswahl muss es morgen also der frühe Zug sein. Und bevor ich noch früher am Bahnhof sein muss, hole ich mir das Ticket lieber jetzt.

Am Schalter sitzt eine Frau, die während sie mich bedient, erstmal am Handy telefoniert, sodass ich gar nicht weiß, ob sie gerade mich anspricht (und ich sie nur akustisch nicht verstehe) oder mit der Person am Telefon redet. Freundlicher Service sieht anders aus, aber nach kurzer Zeit habe ich meine Fahrkarte nach Maribor in der Hand. Für auch gerade einmal 12 Euro. Ein Dauer-Spezialpreis, den man am Schalter bekommt (nicht jedoch im Zug – da verkaufen die Zugbegleiter jeweils nur Fahrkarten bis zu Grenze –, das dürfte aber in der Summe auch nicht viel teurer sein).

Anschließend brauche ich noch eine Fahrkarte für die Straßenbahn. Zwar könnte ich auch zu meiner Unterkunft in 20 bis 30 Minuten zu Fuß gehen, aber ich habe keine Energie mehr. Fahrkartenautomaten gibt es in Zagreb nicht, stattdessen muss man zu einem der vielen „Tisak“-Kioske gehen, von denen es auch mehrere im Bahnhofsumfeld gibt. Für 80 Cent bekommt man eine Papierfahrkarte für 30 Minuten, die man in den Straßenbahnen jeweils noch in den Entwerter stecken muss. Ich kaufe vier Stück, um (neben der Hin- und Rückfahrt zur Unterkunft) eventuell heute Abend nochmal in die Stadt zu fahren.

Vor dem Bahnhof muss ich noch ein paar Minuten warten, bis eine Bahn in meine Richtung kommt. Um kurz vor 20 Uhr bin ich dann endlich in meinem Zimmer, freue mich über ein breites, bequemes Bett und darauf, noch einmal richtig mit Seife den Schweiß des Tages abduschen zu können.

Ich bin in Zagreb, mag die Stadt sehr, aber habe nach diesem ereignisreichen Tag keine Energie mehr, nochmal aus dem Bett aufzustehen. Also bleibe ich liegen und schlafe auch sehr früh ein.

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2 Gedanken zu „Sommernächte im Retro Istria“

  1. Wow, Vielen Dank für diesen Reisebericht! Der weckt echt Reiselust in mir, im „Retro Istria“ mitzufahren. Allein dieser Name: Re-tro Istr-ia.
    Hoffentlich gibt es den Nachtzug mit den alten Schlafwagen auch noch nächstes Jahr, denn da würde ich doch gerne mal mitfahren.
    Danke für diesen tollen Reisebericht! Ich bin schon auf den nächsten gespannt…

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