„Ich mag nicht: Winter ohne Schnee“ – so steht es in meinem Moderatoren-Steckbrief beim Radiosender, bei dem ich arbeite. Aber wer träumt in der kalten Jahreszeit nicht von einer weißen Landschaft und blauen Himmel? Nun sind die Winter in der Nordhälfte Deutschlands nur sehr selten wirklich schneereich. Gerade aus der Schweiz habe ich aber im Internet schon viele unfassbar schöne Fotos und Videos gesehen, wie sich Züge den Weg durch eine meterhoch verschneite Berglandschaft bahnen. Genau das wollte ich auch einmal erleben. Der Winter 2017/18 war zwar ziemlich schneereich, teilweise waren Bahnstrecken in den Alpen tagelang wegen Lawinengefahr gesperrt, aber ich hatte leider keine Zeit, in den Zug zu steigen. Gott sei Dank dauert es bei so viel Schnee dann auch einige Zeit, bis der geschmolzen ist. Warum also nicht Anfang März nochmal versuchen, die Schneemengen am Oberalppass zu durchfahren?
Mit dem durchgehenden IC „Schwarzwald“ geht es von Münster nach Konstanz. Auf Schweizer Seite fahre ich das Bodenseeufer entlang und dann über das Rheintal, Buchs und Sargans nach Chur. Dort übernachte ich. Am zweiten Reisetag geht es über Disentis und den Oberalppass nach Andermatt, dann über Göschenen nach Zürich und mit dem Nachtzug über Hannover zurück nach Hause.
Im Mittelpunkt der Tour steht die Fahrt über den Oberalppass. Aber nebenbei erfülle ich mir auch noch einen anderen Wunsch: Die direkte Fahrt nach Konstanz mit dem IC „Bodensee“. Dieser wunderbare Zug fährt jeweils freitags und samstags bis an die deutsch-schweizerische Grenze, sonst endet er in Koblenz. Er hat sogar einen Bistro-Wagen, während (fast) alle anderen Züge dieser IC-Linie mittlerweile ohne Bewirtschaftung unterwegs sind. Schon zweimal habe ich den Zug genutzt (jeweils im Sommer) und habe die Fahrt immer als etwas ganz Besonderes empfunden: Erst die Fahrt am Rhein entlang, später dann über die landschaftlich und baulich beeindruckende Schwarzwaldbahn und letztlich die Fahrt über die Rheinbrücke Konstanz. So stehe ich auch an diesem Samstagmorgen Anfang März am Bahnsteig in Münster und warte darauf, dass der Zug pünktlich aus Richtung Emden einfährt.
Der Zug ist (bis auf die Lok vor dem Steuerwagen) korrekt gereiht und vollständig. Ich nehme meinen Platz in einem Abteil im 1.Klasse-Teil des nicht modernisierten Bistrowagens ein. Ich bin alleine im Abteil und werde es auch die ganze Fahrt über bleiben. Die Auslastung des Zuges ist heute nicht extrem hoch, ich habe es aber bei einer Fahrt am Freitag auch schon einmal ganz anders erlebt. Da war jeder Platz belegt.
Der Zug wird heute wegen Bauarbeiten gleich zweimal umgeleitet. Zunächst fahren wir nicht über Dülmen nach Recklinghausen, sondern über Hamm und Güterzugstrecken direkt nach Gelsenkirchen. Außerdem nimmt der Zug zwischen Köln und Koblenz den Weg über die rechte Rheinstrecke (mit Halt in Deutz und Bonn-Beuel).
Das Bistro ist offen, hat Waren und wird zunächst von einem freundlichen Herrn bewirtschaftet. Einen Tee bringt er mir direkt an den Platz. So lässt sich das Leben genießen!
Irgendwann gehe ich dann zum Mittagessen ins Bistro, in dem mittlerweile eine total nette Gastronomin mir meine geliebte Cili con Carne zubereitet. Diese Fahrt ist einfach ein Traum: Das Wetter draußen, die wunderbare Atmosphäre im Bordbistro und das leckere Essen.
Offenburg erreicht der Zug deutlich vor Fahrplan. Der Sonderfahrplan mit den Umleitungen scheint große Reserven zu beinhalten. Während wir zeitweise 10 Minuten Verspätung hatten, sind wir in Offenburg fast 20 Minuten zu früh. Zeit für mich, kurz auf dem Bahnsteig frische Luft zu schnappen.
Nach der Abfahrt in Offenburg fährt der Zug nicht, wie alle anderen Fernverkehrszüge, weiter in Richtung Freiburg, sondern biegt auf die Schwarzwaldbahn ein. Während der Zug Höhe gewinnt, wird die Landschaft weißer.
Das Tolle an der Schwarzwaldbahn ist, wie sie in (beinahe) „Serpentinen“ an den Berg gebaut wurde. Man muss immer wieder sich suchend umsehen, um zu erkennen, wo man gerade herkommt. Aber manchmal findet man dann die Strecke, über die man gerade erst gefahren ist, wie es in diesem Video (eher schlecht) zu erkennen ist:
Irgendwann kommt der Zugbegleiter vorbei und sieht, wie ich am Fenster stehe und Fotos mache. Er erzählt mir, dass für ihn die Fahrt über die Schwarzwaldbahn auch immer ein Highlight sei, stellt sich an das nächste Fenster und macht mit seinem Handy auch ein Foto.
Viel zu schnell kommt dann auch die schönste Bahnfahrt zu einem Ende und wir erreichen den Bodensee.
Blick von der Rheinbrücke Konstanz
Einen Vorteil hat es definitiv, dass ich die Fahrt „erst“ Anfang März gemacht habe: Es war die ganze Zeit über noch hell draußen. Etwa eine Stunde Zeit bleibt mir in Konstanz. Ich schaue mir an, wie mein IC in die Abstellung (auf Schweizer Seite) geschoben wird.
Das Kuriose an diesem Foto ist, dass zwischen beiden Bahnübergängen die Grenze zwischen der Schweiz (in der ich stehe) und Deutschland verläuft. Kaum ein Bild zeigt deutlicher: Grenzen sind von Menschen gemacht und werden von manchen Menschen viel zu wichtig genommen. Gut, dass es hier in Konstanz keine unsinnige Grenzkontrolle gibt und ich problemlos hin- und herlaufen kann.
Weiter geht es anschließend mit der S-Bahn eine Station bis Kreuzlingen, dann mit der nächsten S-Bahn bis Romanshorn und nochmal weiter nach einem direkten Umstieg bis Rorschach. Da es draußen dunkel ist, sieht man nicht mehr viel. Ab und zu kann ich den See erahnen, wenn man Lichter am anderen Ufer (Deutschland) sieht.
In Rorschach gibt es dann einen (für Schweizer Verhältnisse) sehr langen Anschluss von 20 Minuten.
Pünktlich kommt der RegioExpress nach Chur.
Um kurz vor 21 Uhr bin ich in Chur laufe zu meinem Hotel, das direkt in der Innenstadt liegt.
Der Tag war wunderbar und ich schlafe mit schönen Erinnerungen ein.
Tag 2
Der Wetterbericht hatte es bereits angekündigt, beim Blick aus dem Fenster muss ich feststellen, dass er sich leider nicht geirrt hat: Das Wetter heute ist sehr bescheiden. Viele Wolken hängen tief über Chur. Aber man kann ja nicht immer so ein Glück mit dem Wetter haben wie gestern.
Die Stadt wirkt an diesem Sonntagmorgen noch ziemlich verschlafen und leer. Ich mache mich auf den Weg zum Bahnhof. Zunächst steht die Fahrt mit der Rhätischen Bahn bis Disentis/Mustér an.
Die Auslastung des Zuges ist eher schwach. Ich nehme einen Platz im letzen Wagen ein und kann so bei der Fahrt durch die Rheinschlucht auch nach hinten rausschauen.
Zwischen Chur und Disentis liegen etwa 500 Meter Höhenunterschied. Die Landschaft wird immer verschneiter. Leider sieht das heute alles nicht so schön aus wie ich es mir erträumt habe, schließlich ist das da draußen alles eine weiß/graue Suppe.
In Disentis endet das Streckennetz der Rhätischen Bahn und weiter geht es mit einem Regio der Matterhorn-Gotthard-Bahn.
Im letzten Wagen bin ich wieder der einzige Fahrgast und kann somit auch das Fenster zum Fotografieren öffnen, ohne andere Fahrgäste damit zu nerven.
Die tief verschneite Landschaft ist ohne Frage sehr beeindruckend, aber die ganz große Begeisterung will sich bei mir nicht einstellen, schließlich fahren wir irgendwann sogar in die Wolken und man sieht draußen eigentlich nur noch einen weiß/grauen Farbton als hätte jemand die Fenster damit gestrichen.
Der bisher sehr leere und trotzdem lange Zug füllt sich in Dieni und am Oberalppass schließlich fast bis auf den letzten Platz. Auf diesem Abschnitt wird er von vielen Wintersportlern benutzt, da entsprechende Verbindungsseilbahnen auf dem Abschnitt nicht existieren.
Irgendwann erreicht der volle Zug dann Andermatt und ich steige aus. Auch vor dem Bahnhof ist die Landschaft tief verschneit:
In Andermatt habe ich ein paar Minuten Zeit, um im Supermarkt etwas zu Essen einzukaufen, dann geht es weiter. Ich fahre über die Schöllenenbahn nach Göschenen. Seit der Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels gibt es einen neuen Fahrplan auf der Bergstrecke und da die Regionalzüge Andermatt – Göschenen darauf abgestimmt sind, fahren diese auch nach neuem Fahrplan. Wenige Minuten hintereinander fahren beide Züge (2 Züge pro Stunde) von Andermatt nach Göschenen ab. Da aber ab Andermatt von allen Zugreisenden bereits der erste Zug erreicht wird, ist der meist ziemlich voll, der zweite Zug dagegen sehr leer. Ich nehme deshalb den zweiten Zug.
Auch in der Schöllenenschlucht herrscht dichter Nebel, aber ein paar Eiszapfen kann ich aus dem Zug trotzdem ablichten:
In Göschenen steige ich nicht direkt in den nächsten Zug, sondern warte eine Stunde, um mich umzuschauen.
Es ist mein erster Besuch hier oben seit Inbetriebnahme des Basistunnels. Es ist ruhig geworden, keine Güterzüge mehr, die alle paar Minuten durch den Bahnhof fahren, teilweise sogar auf den hinteren Gleisen halten damit eine Schublok abgekuppelt werden kann. Irgendwie ist das traurig anzusehen. Bahnbetrieb hier oben hatte immer etwas Besonderes.
Im Hintergrund: Nordportal Gotthard-Scheiteltunnel
Die stündlichen Regionalzüge in beide Richtungen fahren mittlerweile in der Regel vom Hausbahnsteig (Gleis 1) ab. Der Mittelbahnsteig, an dem einst stündlich die Interregios mit Lok, richtigen Reisezugwagen und einem Panoramawagen hielten, scheint eingeschlafen zu sein. Nur am Vorplatz und damit am Bahnhof der Matterhorn-Gotthard-Bahn herrscht eher mehr Betrieb als früher, denn im neuen Fahrplan treffen sich beide stündlichen Regionalzüge hier.
Ich laufe vom Bahnhof aus ein bisschen die Bahnstrecke entlang und bin wieder etwas traurig, dass mir kein einziger Zug begegnet. Das war früher anders.
Rechtzeitig bin ich zurück am ausgestorbenen Bahnhof. Das ändert sich aber genau einmal in der Stunde, wenn die Züge aus Andermatt eintreffen. Der erste Zug ist voll mit Wintersportlern, die ihren Skitag gerade beendet haben und nun nach Hause wollen. So wird es dann nach der Ruhe plötzlich ganz voll am Gleis 1 von Göschenen. Ich wundere mich bei dem Andrang noch mehr, dass man die Interregio-Züge schon in Erstfeld wenden lässt und sie nicht wenigstens bis Göschenen führt (nur 2 Zugpaare Sa & So fahren bis Göschenen). Dann müssten viele Reisende seltener umsteigen.
Statt eines Interregios erblickt kurze Zeit später der RegioExpress nach Erstfeld wieder Tageslicht und fährt aus dem Gotthardtunnel in Göschenen ein.
Der Zug füllt sich ordentlich und fährt dann ohne Halt bis Erstfeld die Gotthard-Nordrampe hinunter. Die SBB haben versucht, die Flirt-Regionalzüge auf der Bergstrecke positiv zu bewerben: „Große Panoramafester“ habe ich irgendwo gelesen. Zugegeben, der Flirt hat relativ große Fenster, aber was hilft es, wenn sie schlecht geputzt sind?
Die Fahrt bis Erstfeld vergeht trotz des miesen Wetters zu schnell, aber immerhin kann ich dann in einen „richtigen“ Zug umsteigen, den Interregio nach Zürich.
Der Tag war wirklich schön und ich habe die Fahrt genossen. Dennoch wurmt es mich, dass ich mit dem Wetter heute Pech hatte. Als würde sich das Wetter bei mir entschuldigen wollen, reißt der Himmel in Zürich passend zum Sonnenuntergang dann nochmal auf.
In Zürich esse ich zu Abend und dann geht es mit dem Nachtzug zurück in den Norden. Dabei nutze ich die einzige ÖBB nightjet-Verbindung, die nicht durch Österreich führt: Von Zürich nach Hamburg und Berlin. Führte die Verbindung im ersten Betriebsjahr noch als ein Zug über Berlin nach Hamburg, wird der Zug nun geteilt. Das hat für mich den Vorteil, dass der Hamburger Zugteil wieder über Hannover fährt und das für mich eine günstige Verbindung nach NRW darstellt.
Ich schlafe gut in meinem Single-Schlafwagen-Abteil und steige am frühen Montagmorgen pünktlich in Hannover aus.
Anschließend geht es mit dem IC bis Osnabrück, mit der Regionalbahn zurück nach Münster und direkt zur Arbeit. Endlich hat sich bei mir ein Nachtzug-Klischee auch mal erfüllt: Abends noch im Urlaub einsteigen, über Nacht fahren und schon morgens pünktlich auf der Arbeit sein.